Ja zum Leben - Nein zu Temelín", schreit es uns derzeit von zahllosen Werbe- flächen entgegen. Die FPÖ bittet zur Unterschrift, und die Sache scheint leicht zu entscheiden: Klar ist man fürs Überleben und damit gegen Temelín. Betrachtet man das so genannte Volksbegehren aber genauer, ist es leider etwas komplizierter. Der Zweck jeder Unterschrift läge, laut Pressetext der Initiatoren, in der "bindenden" Wirkung für Außenministerin und Bundeskanzler beim Abschluss des Energiekapitels mit Tschechien. Zur Erinnerung: Am 10. Dezember des Vorjahres wurde eine Einigung über den Abschluss des Energiekapitels von der Außenministerin ohne Diskussion formal bestätigt, und zwar mit Billigung der Regierungspartei FPÖ. Der "vorläufige" Abschluss des Energiekapitels - endgültig wird jedes Kapitel erst mit der Ratifizierung des Beitrittsvertrages abgeschlossen - bedeutet, dass beide Seiten, Österreich und Tschechien, im Moment keinen weiteren Verhandlungsbedarf sehen. Das muss man erst einmal sickern lassen: Die österreichische Regierung teilt also der tschechischen mit, sie habe bei allem, was das Energiekapitel beträfe, keinen weiteren Handlungsbedarf. Was ist denn mit Temelín? Was mit den vitalen Sicherheitsinteressen der Österreicher? Wo ist die klare Antiatomhaltung der österreichischen Volksvertreter? Aber es kommt noch wirrer: Nachdem die Regierung ohne Notwendigkeit die Verhandlungen beendet hat, poltert plötzlich ein Teil eben dieser Regierung, dass, wer Temelín verhindern wolle, Tschechiens Beitritt zur EU blockieren und diesem Anliegen durch seine Unterschrift beim Volksbegehren Nachdruck verleihen müsse. Über die Motive der Freiheitlichen, so eine Aktion zu inszenieren, statt, wie es ihnen als Parlamentsfraktion zustünde, einfach einen entsprechenden Gesetzesantrag einzubringen, soll hier nicht spekuliert werden; es genügt zu erkennen, wie sich hier die Katze in den Schwanz beißt: Die FPÖ initiiert ein Volksbegehren mit dem vermeintlichen Ziel, die österreichische Regierung und damit auch sich selbst zu einer konsequenten Antiatompolitik aufzufordern, die die FPÖ mit dem Abschluss des Energiekapitels gerade preisgegeben hat. Ob ein österreichisches Veto durch eine verfassungsgebende Mehrheit im Parlament möglich wäre, kann man unterschiedlich einschätzen. Faktum bleibt: Ein Veto macht Temelín nicht sicherer, es verhindert kein Atomkraftwerk, sondern nur die EU-Osterweiterung. Verhandlungen können und dürfen nicht durch Drohungen ersetzt werden. Wirklichen Atomkraftgegnern bleibt nur Überzeugungsarbeit - auch in Tschechien. Dort war der Temelín-Trotz übrigens bei weitem nicht immer so ausgeprägt wie heute. Wäre es etwa nach Staatspräsident Václav Havel gegangen, wäre Temelín nie zu Ende gebaut worden. Und sogar das Kabinett hätte das Projekt einmal beinahe gekippt. Es besteht also Hoffnung, dass auch in Tschechien die Zeit reif wird für den Atomausstieg. Ein österreichisches Veto ist dabei aber sicher nicht hilfreich. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.1.2002)