New York/London - Das könnte mehr Auswirkungen auf die Medizin der Zukunft haben als viele andere Entdeckungen: Wissenschafter des US-Howard Hughes Medical Institute an der Rockefeller Universität in New York haben per Röntgen-Kristallographie-Analyse erstmals die dreidimensionale Struktur des "Chlorid-Kanals" darstellen können, der durch die Membran von Zellen reicht. Durch diese "Pore" strömen Chlorid-Ionen in die Zellen ein. Sie stammen vom aufgenommenen Salz (NaCl). "Ein spektakulärer Durchbruch" - so kommentierte der deutsche Wissenschafter Thomas Jentsch vom Zentrum für Molekulare Neurobiologie in Hamburg in einem Kommentar zu der Veröffentlichung in der neuesten Ausgabe der britischen Wissenschaftszeitschrift "Nature" die Arbeit. Viele Jahre lang haben Fachleute daran gearbeitet, jene Eintrittsstellen an der Oberfläche von Zellen zu charakterisieren, durch welche die für deren Funktion wichtigen elektrisch geladenen Teilchen in sie hinein- und wieder herauskommen. Der Hintergrund: Von der Konzentration von Elementen wie Kalzium, Kalium oder Chlorid hängt die Funktion der Zellen ab. Ein starker Einstrom von Kalzium in Gefäßzellen erhöht beispielsweise den Blutdruck. Folglich wurden vor Jahrzehnten bereits "Kalzium-Kanalblocker" (Kalzium-Antagonisten) entwickelt, die eine wichtige Rolle in der Behandlung des Bluthochdrucks spielen können. Voraussetzungen Für die Entwicklung solcher Medikamente ist aber die exakte Kenntnis vom molokularen Aussehen solcher Kanäle von entscheidender Bedeutung, nur dann können spezifisch wirksame Arzneimittel-Wirkstoffmoleküle entwickelt werden. Der Weg dazu ist die Analyse dieser Protein-Komplexe im kristallisierten Zustand unter Röntgenstrahlen, die Röntgen-Kristallographie. So wurde auch die Doppelhelix-Struktur der Erbsubstanz DNA entdeckt. 1998 schaffte Roderick MacKinnon vom Howard Hughes Medical Institute mit der Darstellung des - ebenfalls für die Herz-Kreislauf-Forschung und die Neurologie enorm wichtigen - Kalium-Kanals eine Pioniertat. Jetzt ließen er und sein Team mit der Analyse des Chlorid-Kanals diesen Arbeiten einen weiteren Meilenstein folgen. Das Ergebnis sind "Bilder" bzw. Darstellungen von Protein-Schleifen, welche den Kanal, durch den Zellen mit Salz versorgt werden, mit einer Auflösung von drei Angström (ein Angström: 0,1 Milliardstel Meter). Zahlreiche Krankheiten werden auf krankhafte Veränderungen im Chlorid-Kanal von Zellen zurückgeführt bzw. dürften daran beteiligt sein. So zum Beispiel Nieren- und Muskelkrankheiten und die Zystische Fibrose. Poren Laut den bisherigen Erkenntnissen besteht der Chlorid-Kanal aus zwei Poren, die jeweils wie "Stundengläser" aussehen und die Ionen durch ihre Engstellen durchfließen lassen. Der Kalium-Känäle haben hingegen nur eine solch Pore, die aus insgesamt vier Proteinen besteht. Umgekehrt besteht der Chlorid-Kanal nur aus zwei jeweils identischen Eiweißmolekülen, die jeweils eine Pore bilden. Erst diese Ergebnisse werden es ermöglichen, auf molekularer Basis das Funktioneren des Chloridstoffwechsels und somit auch die Aufnahme von Salz durch Organismen zu studieren. Die nächsten Schritte: Die Wissenschafter werden jede einzelne Aminosäure der Proteine austauschen, um deren Funktion zu klären. Dann könnten Wirkstoffe entwickelt werden, die ganz spezifisch die Arbeit der Kanäle beeinflussen. (APA)