Mit den Siegern der zweiten Staffel der TV-Doku-Soap "Popstars" hat im Pop eine Profanisierung stattgefunden.

Christian Schachinger

Wien - Hila mag Disziplin. Auch Ross steht laut Fragebogen darauf. Shaham schätzt Ehrlichkeit, auch wenn es manchmal weh tut - und die oft gefürchtete Langeweile kommt beim täglichen Gesangs- und Tanztraining sowieso nie auf. Faiz hingegen ist der unsichere Faktor in diesem Getriebe. Weder will er morgens aufstehen, noch tagsüber tatenlos rumhängen.

Giovanni scheint schließlich wieder ebenso formbar wie Indira. Er will einmal Frau, Kinder, Haus und Hund, dürfte also gegenüber Arbeit positiv eingestellt sein. Und sie schätzt Flexibilität und - Achtung! - intelligente Kompromissbereitschaft. Wahrer Arbeit, wahrer Lohn.

Das diese Woche erschienene Bravo -Sonderheft über Bro'Sis , die Gewinner der zweiten Staffel der RTL 2-Doku-Soap Popstars , belegt anhand von sechs nach Ruhm strebenden jungen Menschen im Pop nichts weniger als einen Paradigmenwechsel. Die aus 11.000 Bewerbern in einem 98-tägigen Selektionsverfahren vor einem Millionenpublikum destillierte Nachfolgeband der No Angels steht dabei nicht nur am Ende einer in den 80er-Jahren mit Hollywood-Fiktionen wie Chorus Line oder Dirty Dancing eingeleiteten endgültigen Ökonomisierung des Pop. Angepasste unter sich

Nur wer sich den vorgegebenen Kriterien von Disziplin, Leistung, Durchhaltevermögen, Anpassung an eine "Gemeinschaft" beugen kann und diverse, zuvor auf der Basis von Marktuntersuchungen festgelegte Gesangstechniken und Tanzschritte beherrscht, der hat auch das Zeug dazu, ein Star zu werden.

Ein entscheidender Unterschied zum Geniegedanken in der Popmusik früherer Zeiten wird hier ebenso deutlich. Nicht das unberechenbare und nach eigenen Gesichtspunkten vorgehende Nachwuchstalent, das in einem kleinen Club zufällig entdeckt und dann groß herausgebracht wird, steht länger im Mittelpunkt. Immerhin birgt dies aus marktstrategischer Sicht auch viel zu viele Gefahren, wie persönliche Unzuverlässigkeit, Unprofessionalität - und freien Willen.

Das Credo, zu dem sich angesichts ökonomisch zunehmend unsicherer Zeiten immer mehr junge Menschen bekennen, lautet heute: Jeder kann ein Star werden. Wenn er nur hart an sich arbeitet, wenn er sich auch gut beraten und führen lässt.

Diese Mischung aus Selektion seitens der Industrie und einer Selbstdisziplinierung zu allem entschlossener und diesbezüglich alles erdulden wollender Talente wurde in der Realität dann Jahre später von Plattenfirmen perfektioniert. Damals stellte man Teenie-Bands wie New Kids On The Block , die Backstreet Boys oder die Spice Girls bis herauf zu Boyzone und Atomic Kitten zusammen.

Die darauf folgende Transparenzmachung von eher wirtschaftlichen als künstlerischen Entscheidungsprozessen aber, die dank des Aufkommens von Reality-TV zu einem ungeheuren Popularitätsschub führte, weil hier eben auch im Fernsehen sichtbar wurde, wie die Unterhaltungsindustrie funktioniert, trug dann das ihre dazu bei, dem Pop endgültig seinen Zauber zu nehmen.

Nicht nur führten die bei den No Angels und Bro'Sis flächendeckend unternommenen Castings zu einer bis dato nicht gekannten Inflationierung von kollektiven Teenager-Träumen.

Dieses in Jugendzeitschriften und in zahlreichen Internet-Foren begleitend dokumentierte Begehren, selbst ein Teil des Traums und also Popstar zu werden, und dies weniger durch Talent als vielmehr durch harte Arbeit, Selbstdisziplinierung und Unterordnung schaffen zu können - all das führte auch zu einer Demokratisierung des Star-Gedankens. Wer lange genug bei dieser öffentlichen Selbstkasteiung durchhält, dem ist ein Nummer-eins-Hit sicher. Kreativität, Spontanität, eine nicht zu unterschätzende Portion Glück, sie spielen keine Rolle mehr.

Dem Pop wird so das Geheimnis, der grundlegende und nur schwer zu ergründende Mythos genommen, der schließlich zum Wesentlichen die Faszination eines Stars ausmacht. Es kommt zu einer Profanisierung.

Pop beruht heute auf dem Konzept der harten Arbeit, auf den Vorgaben der Leistungsgesellschaft. Nur die Starken überleben. Dies steht im krassen Gegensatz zu den mythisch überhöhten Ausschweifungen, dem Ausstieg aus und der Verweigerung von gesellschaftlichen Mindestanforderungen früherer Zeiten (Rolling Stones, Led Zeppelin, Elton John . . .). Wenn aber zwischen Alltag und Kunst kein Unterschied mehr besteht, was haben wir dann überhaupt noch davon?

In sämtlichen Interviews verkünden uns Bro'Sis übrigens, wie kräfteraubend ihr Star-Dasein sei. Von Genuss und Spaß keine Rede. Bis Mitternacht auf der Bühne, Tagwache sieben Uhr morgens, dann stundenlanges Training. Freizeit nur, wenn auch das Fernsehen dabei ist. Ist das das schöne Leben, von dem wir alle träumen?! Die Zeiten werden hart. (DER STANDARD; Print, 19./20.1.2002)