Wien/Washington - "Es hat nach dem 11. September in den Vereinigten Staaten eine Debatte gegeben, in der viele Antiterrormaßnahmen der Regierung Bush heftig kritisiert wurden", meint der in Harvard lehrende amerikanische Rechtsprofessor Charles Fried. Auch die akademische Reaktion der Juristen auf die Maßnahmen sei "recht negativ" gewesen.

Er, Fried, glaube aber, dass gerade das Vorhandensein einer solchen Debatte und die Furchtlosigkeit, mit der die US-Bürger auch der Regierung nicht genehme Kritik übten, einen Beleg dafür lieferten, dass man sich um die Bürgerfreiheiten nach dem 11. September keine großen Sorgen machen müsse. "Auch Demonstrationen gegen den Krieg in Afghanistan hat es gegeben. Diese Demonstrationen waren nicht populär, aber sie wurden abgehalten - und auf Applaus gibt es keinen Rechts-anspruch."

Neuartige Probleme

Fried, der früher als Höchstrichter im Bundesstaat Massachussetts tätig war, legte am Montag auf Einladung der Wiener US-Botschaft seine Rechtsauffassung über die Antiterrormaßnahmen vor österreichischen Journalisten dar. Botschaftsrat John Quintus: "Wir wollen, dass diese Debatte auch außerhalb Amerikas geführt wird."

Fried wies darauf hin, dass die neue Art des Krieges eine Fülle von Problemen auf dem Gebiet des internationalen Rechts aufwerfe. So sei etwa schwierig zu beurteilen, ob die in Guantanamo internierten Häftlinge in die Rubrik Kriegsgefangene oder "illegale Kämpfer" gehörten. Auch sei, wenn in den Räumen des Verteidigungsministeriums in Kabul Unterlagen zur Ausführung von Anschlägen gefunden wurden, evident, dass zwischen den Taliban und den Terroristen des 11. Sep-tember eine Beziehung bestehe. "Aber was bedeutet das jetzt, wo es in Afghanistan eine andere Regierung gibt und wir immer noch Krieg führen?" Es sei unbefriedigend, aber wohl nicht zu vermeiden, dass man schwierige juristische Herausforderungen dieser Art erst nach und nach bewältigen werde.

Wenig problematisch scheint Fried die Order des Präsidenten an das Verteidigungsministerium, militärische Sondertribunale einzurichten, obwohl gerade zu diesem Thema "tonnenweise Tinte" vergossen worden sei. Auf den Kriegsfall beschränkte Maßnahmen dieser Art habe es schon unter George Washington gegeben, außerdem müsse man bedenken, dass selbst Herr Zacharias Moussawi, der Mann, der mutmaßlich die Rolle des zwanzigsten Terroristen am 11. September hätte spielen sollen, vor einem ordentlichen Gericht, nicht vor einem Militärgericht abgeurteilt wird. Von einem leichtfertigen Umgang mit der Militärgerichtsbarkeit könne keine Rede sein.

Frieds Fazit: "Erst wenn man über kontroversielle Themen schwiege oder Leute eingeschüchtert würden, würde ich mir Sorgen um die Demokratie in unserem Land machen." (win, DER STANDARD, Print vom 15.1.2002)