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Foto: APA/epa/efe/ Andreu Dalmau
Es sei eine uralte Geschichte, die sie erzähle, meint Doris Lessing im Vorwort. Überall auf der Welt gäbe es den Mythos vom Geschwisterpaar, das zusammen allerlei Abenteuer übersteht, um am Schluss ein Leben in Frieden zu finden. Ihr Geschwisterpaar heißt Mara und Dann und ihre Geschichte spielt in ferner Zukunft in einem Kontinent, der dann Ifrik heißen wird und jetzt Afrika genannt wird. Die Welt hat sich ganz und gar verändert. Der Klimakollaps hat die Chancen neu verteilt, aber immer noch gehört Ifrik zu den Verlierern. Während Europa unter meterdickem Eis verschwunden ist, herrscht in Ifrik grausame Dürre. Die übriggebliebenen Menschen flüchten so weit sie können nach Norden, wo es im Übergang von der Wüste zum Eis noch feucht ist. Der Kampf um die letzten Ressourcen ist kompromisslos. Es gibt keine Staaten, keine Gesetze, keine technische Zivilisation, das meiste Wissen, auch das um die eigene Geschichte ist einfach verloren gegangen und in die Mythenwelt zurückgesunken. Das postapokalyptische Panorama ist trostlos. Es ist viel zu trocken für Ackerbau, es gibt noch ein paar mutierte Tierarten, die meisten von ihnen ziemlich unerfreulich, und die xenophobe Dorfgemeinschaft, in der Mara und Dann als ungeliebte Außenseiter aufwachsen, schaut phlegmatisch ihrem eigenen Aussterben zu. Als Mara und Dann beschließen, in den Norden zu wandern, wo es genug Wasser für alle geben soll, geraten sie in Gesellschaften unterschiedlichster ethnischer Wurzeln und Entwicklungsstadien. Lessing bleibt dabei gerne im Ungefähren. Sie entwirft Skizzen von Sklavenhaltern mit Harems, Warlords mit Söldnerheeren, unheimlich-uniformen Ansammlungen von Nachfahren geklonter Menschen, Händlern und Drogensüchtigen, Folterern und verrückten Religionsgemeinschaften. Und ganz oben im Norden, am Rande des mittleren Meeres gibt es noch einige wenige hellhäutige, hellhaarige Menschen, die die europäische Eiszeit überlebt haben. Ein paar Artefakte der untergegangenen technischen Zivilisation begleiten die Flüchtenden: Die letzten Sonnenkollektoren, Häuser aus unverrottbarem Material, Textilien, die ewig halten und nicht schmutzig werden. Und da und dort noch sogenannte "Gleiter" Fluggeräte, von denen es nur mehr wenige funktionstüchtige gibt, oder die Reste einer Bahn, bei der die Waggons von Menschen geschoben werden. Andere Relikte sind mündlich überliefert: die Geschichte von einer "Ankrena" (Anna Karenina) oder "Mam Bedfly" werden abends erzählt, halb unverständlich für die Überlebenden, Nachrichten aus einer sagenhaften Welt, deren Untergang sich chronologisch gar nicht mehr festmachen lässt. Science fiction gehört nicht zu Lessings starken Seiten. Post-Kastrophenszenarien, in denen sich in die Steinzeit zurückgeworfene Sippen von den Resten einer einstmals glänzenden technischen Zivilisation ernähren, gibt es massenweise und die sind meist logischer aufgebaut. Lessings etwas naive, dramatische Odyssee hat zudem ziemliche Längen; sie schickt ihre Protagonisten durch noch eine und noch eine Gesellschaft, das wird recht episch, trägt aber zu weiterer Erkenntnis nichts bei. Und wenn dann am Rande des früheren Mittelmeeres ein halb verfallenes Museum auftaucht, in dem die Entwicklungsstadien der Menschheit gezeigt werden, garniert mit den geheimnisvollen Maschinen aus dem versunkenen Paradies, schrammt das schon hart am Kitsch entlang. Da, wo die Autorin die Dürre schildert, die Austrocknung der Psyche, die Lethargie der dem Untergang Geweihten wird sie eindringlich, ihre sprachliche Kompetenz tritt hervor, aber das ist zu wenig, um eine konventionell gebaute Geschichte fast 600 Seiten lang durchzutragen. Am Ende scheint alles wieder von vorne zu beginnen. Ackerbau und Viehzucht in fortpflanzungswilligen Kleingruppen, das klingt nach Müsli-Idylle, Friede, Freude, Bauernhof. Und das alte Elend beginnt von neuem. Ein deprimierendes happy end und als solches nicht ohne Tücke. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13. 1. 2002)