Wien - Zwei Konzepte haben in den letzten Jahren die Latte dafür hoch gelegt, was eine "Erlebnisausstellung" bieten muss: Körperwelten und Dialog im Dunkeln. Beide sind enorm erfolgreich, touren für ein Millionenpublikum durch Europa, Amerika und Japan. Beide sind höchst eigenständige Konstrukte, versuchen nicht zum Spektakel für Massen zu stilisieren, was ursprünglich eher kontemplativen Charakter hatte. Beide brauchen sich nicht einer fremden Marke zu bedienen, kommen ohne "Picasso", ohne "Armani" und selbst ohne "Sex" aus. Und das Gold vergangener Tage und Kulturen lassen sie auch unbeleuchtet. Sie nehmen den Besucher beim Körper. Gunter von Hagens, Erfinder der Plastination, eines Verfahrens zur ästhetisch wie olfaktorisch befriedigenden Konservierung sterblicher Überreste im Stück, führt vor, was uns antreibt, bewegt, was uns sehen, hören und riechen lässt; zeigt, welche unserer Bestandteile aufnehmen, verdauen und folglich auch wieder ausscheiden. Damit die Anatomiestunde auch richtig fährt, kann man unsere verblichenen Artgenossen, säuberlich gehäutet oder in Scheiben geschnitten oder gar futuristisch dynamisiert, bei Alltäglichkeiten wie dem Schachspiel oder dem Joggen beobachten. Und Hagens glänzt dazu in der Rolle des zwielichtig genialen Pathologen, der sich für Leonardo da Vinci hält, der gerade probiert, wie ihm Jacke und Hut von Joseph Beuys wohl passen, während er die Werke des französischen Anatomen Honoré Fragonard studiert. Dem Publikum schaudert; es freut sich und kommt wieder. Dialog im Dunkeln zeigt nichts. Lichtlos überlässt es die Freizeitgesellschafter ihrem Tast-, Geruchs-, Gehör-, Geschmacks-, Temperatur- und Gleichgewichtssinn. Der dann sogleich auch als wenig ausgebildet, zumindest aber wenig vertrauenswürdig empfunden wird. Damit der Kick der simulierten Sehbehinderung nicht sturzbedingt in eine vorübergehende Beeinträchtigung des Fortbewegungsapparates ausartet, führen (echte) Blinde durch den Parcours. Ermuntern zum Tanzen oder Einkaufen, zum Getränkekonsum, zu einer Fahrt im Motorboot. Selbstredend wollen auch Kreuzungen unfallfrei bewältigt werden. Dialog im Dunkeln verknüpft geschickt das moralisch hochstehende Element der annähernden Erkenntnis über die Lebensumstände Blinder mit der Erfahrung des Umfunktionierens von Alltäglichem zwecks Lustgewinn - mit Ästhetik. Die Realität ändert für kurze Zeit ihren Charakter, der Fluchtweg aus dem Alltag ist offen, dem Vergnügen, dass einem dauernd etwas im Weg steht, steht nichts mehr im Weg - Freizeitindustrie mit Mehrwert. Aha-Erlebnis garantiert. Und die Erfahrung, angewiesen zu sein: sich führen zu lassen, sich jemandem vertrauensvoll auszuliefern, dessen Gestalt "finster" bleibt, dessen Mimik und Gestik ewig verborgen bleiben. Und aufpassen! Nicht nur, dass Objekte und Wesen erst durch den Tastsinn anschaulich werden, auch der Sprachgebrauch wird heftig befragt. Ab Dienstag lässt sich der Dialog im dunklen Gewölbe des Wiener Schottenstiftes eingehen. Und Hagens' Pan- optikum kommt so sicher wie der Zirkus wieder. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13. 1. 2002)