Nicht mehr lang, und das Volksbegehren gegen Temelín ist auch überstanden. Seit Jörg Haider, um sich unter Einbeziehung des Verfassungsgerichtshofes in die antislowenischen Gefühle etlicher Kärntner ungestört einleben zu können, die Mobilisierung antitschechischer Gefühle unter dem Vorwand österreichischer Volksgesundheit an die "Kronen Zeitung" abgetreten hat, steht für deren Boss Einiges auf dem Spiel.Wenn das Volksbegehren nicht eine Million Unterschriften bringt, könnten noch ein paar Politiker die Nachfolge Wolfgang Schüssels in der Überzeugung antreten, so bedeutend, wie er uns selber einreden will, sei der Einfluss Hans Dichands auf die österreichische Seele auch wieder nicht. Das wäre ein medienpolitischer Super-GAU, ein Tschernobyl in der Muthgasse. Und da ist eine Million noch ein gnädiges Maß, hieße das doch, dass die "Krone" nur ein knappes Drittel der fast drei Millionen Leser, die sie täglich erreicht, von der Richtigkeit eines Kampfes überzeugen konnte, der in den letzten Tagen Volkssturm-Charakter angenommen hat. Volksbegehren startet in einer Woche - Temelín: Frauen im Kampf voran!, hieß es gestern auf Seite 1. Ein paar Tage hat das Blatt ja noch, um sich zum totalen Krieg zu steigern; schon was bisher geboten wurde, erinnerte - sonstige Qualitäten der Anti-Temelín-Bekenner in Ehren - nicht an das erste Aufgebot atomaren und politischen Sachverstandes. So hatte das Blatt am Sonntag auf Seite 1 als Kronzeugin gegen Temelín eine gewisse Antonia zu bieten - der Familienname wurde wegen offensichtlicher Belanglosigkeit verschwiegen -, deren Sachkompetenz sich daraus ergibt, dass sie auch schon als DJ Ötzis ehemalige Duettpartnerin aufgetreten ist. Am Tag zuvor konnte man als eine Art Wunderwaffe immerhin Peter Alexander vorweisen, der ein skandalös verspätetes Coming-out - "Ich war schon immer ein Todfeind der Atomenergie" - durch Prunken mit einschlägigem Fachwissen auszugleichen suchte: "Diese verhängnisvolle Technologie ist derartig unausgereift, dass Einstein ganz bestimmt in seinem Grab rotiert." Wenn des Sängers spezielle Relativitätstheorie mithilft, die Rotationen des Vaters auch der allgemeinen in seinem Grabe zum Stillstand zu bringen, wäre schon viel erreicht; ob die Regierung ein Veto gegen Tschechiens EU-Beitritt mit diesem nekrophilen Argument durchsetzen könnte, bleibt indes zweifelhaft. Was Hans Dichand schließlich von der Qualifikation dieses Zeugen überzeugt haben dürfte, wird wohl der Satz gewesen sein: Es ist ungeheuerlich, dass die Menschheit und zukünftige Generationen der Profitgier geopfert werden sollen. Auch der bekannte Schauspieler und Autor Miguel Herz-Kestranek setzt jetzt ein deutliches Zeichen und unterschreibt das Volksbegehren gegen das Schrott-AKW Temelín, posaunte die "Krone" am Donnerstag. Das neben- stehende Bild auf Seite 1 zeigte in der Tat M. H.-K., versonnenen Blickes schreibend. Was er aber da unterschrieb, war kaum jetzt das Volksbehren. Verriet doch das Outfit - kurzärmeliges Polohemd und Lederhose vor leuchtend grüner Waldkulisse -, dass die Schreibarbeit eher sommerlichen Grüßen aus dem Ausseerland denn einem Volksbegehren galt. In großen Kämpfen dürfen die Dichter nicht abseits stehen - wenn sie loslegen, wird es erst richtig brutal. So holte kürzlich des Blattes Schlachtensänger zu einem Verslein aus, in dem er - ganz tapferes Schneiderlein - annähernd siebene auf einen Streich erledigte. Nie, wenn die USA sich nahmen/ ihr Vetorecht im UNO-Rahmen,/ erregten und empörten sich/ die "guten Menschen" sonderlich./ Doch wollte Österreich erwägen,/ sein Veto rechtens einzulegen/ gegen den Meiler, den defekten,/ sind aus dem Häusl die "Korrekten"./ Hier sieht man deutlich wieder mal,/ dass durchaus teilbar die Moral. Das weckte in einem altgedienten Diplomaten Empörung, was ästhetisch verständlich, und den Drang, mit den gleichen Waffen zurückzuschlagen, was ästhetisch bedauerlich war. Im "Kurier" vom Samstag veröffentliche der langjährige Botschafter Österreichs bei der EU, Wolfgang Wolte, ein gereimtes Aide-Mémoire zur dezenten Verherrlichung der einschlägigen Bemühungen des Kanzlers. Was soll dieses Volksbegehren?/ Es kann Dinge nur erschweren!/ Denn Temelín bleibt in Betrieb,/ wenn dies auch manchen gar nicht lieb./ So jung und doch schon recht veraltet:/ Es wird gewiss nicht abgeschaltet./ Es sei denn, dass das schöne Prag/ das Kraftwerk auch nicht wirklich mag./ Nur: Das hat Tschechien zu entscheiden/ und Rat von außen ist zu meiden! Das vom "Kurier" als Erstlingswerk ausgegebene Poem unterzeichnete der am Ende seiner Laufbahn weilende Diplomat mit dem Prénom de plume Wolf. Österreich könnte längst wieder gefürchteten Großmachtstatus haben, wäre man am Ballhausplatz früher auf die Idee gekommen, diplomatischen Verkehr in paarweisen Reimen zu pflegen. (DER STANDARD, Printausgabe 09.01.2002)