Ein Süchtiger hat einen Bipa überfallen und 16.000 Schilling erbeutet. Er wird deswegen zu drei Jahren Haft verurteilt. Man müsste kein Wort mehr darüber verlieren. Oder doch?

Erich ist jetzt 33. Mit 14 hat er angefangen. Mit 16 hat er aufgehört. Mit 17 wieder angefangen. Und so weiter. Beim Gift war er "nicht wählerisch", sagt er. Aber bezahlen musste er es. - Als Koch reichte es immer nur zu Saisonjobs. Dazwischen holte er sich das Geld ohne Arbeit. Das brachte ihm neun Vorstrafen ein.

Und doch erkennt eine Richterin, die sich Menschen gut ansieht, sehr bald: "Sie wirken nicht so zerstört wie die meisten anderen. Kriegen Sie Ihr Leben nicht in den Griff?" - "Nur kurzfristig", erwidert der Angeklagte: "Irgendwas stimmt bei mir nicht. Ich rappel mich hoch und dann gleit' ich wieder ab." - Diesmal tief. Er steht wegen schweren Raubes vor Gericht. Er hatte in einem Park einen Ast abgebrochen und damit die Kassiererin bedroht. Die Staatsanwaltschaft betrachtet das Holzstück als Waffe. Im Polizeiakt wird sein Durchmesser mit fünf bis acht Zentimeter angegeben. - Aber das Beweisstück fehlt.

Erich konnte sich keinen Wahlverteidiger leisten. Sein Glück: Ihm wurde ein Verfahrenshelfer zur Seite gestellt, dem es gelingt, Gericht und Zuhörer mit seinem Einsatz zu beeindrucken. Max Schaffgotsch heißt er. "Ich bin genauso unfreiwillig da wie Sie", sagt er zu den Geschworenen. "Meine Rolle ist es nur, ein Gegengewicht zur Anklage darzustellen."

Wie dick war der Ast vom Holunderstrauch wirklich? In der Nacht vor dem Prozess hat der (Zivil-)Anwalt Rohrstücke mit verschiedenen Durchmessern gebastelt und zeigt sie nun der Bipa-Kassiererin. - Die Zeugin deutet auf das Stück mit nur zwei Zentimetern Durchmesser. Für die Geschworenen ist das noch keine Waffe.

Der Staatsanwalt hatte acht Jahre Haft gefordert. Fünf Jahre weniger sind es geworden. Erich nimmt sich fest vor, die vielleicht letzte Chance zu nützen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.1.2002)