Claus Peymanns Versuch, mit einer neuen Inszenierung von Lessings Parabel über den Religionen-Streit "Nathan der Weise" an seinen früheren Erfolg und das Zeitgeschehen anzuknüpfen, gerät zu einem enttäuschenden Abend von schaler Ungenauigkeit. Freundlich gleichgültiger Applaus für lange Theater-Stunden. Berlin - Kein mitreißend großer Wurf, kein Befreiungsschlag aus der gehobenen Stadttheater-Durchschnittlichkeit am Berliner Ensemble. Claus Peymanns Versuch, an seinen Nathan -Erfolg von 1981 anzuknüpfen, der sich nach Bochum in Wien fortsetzte, führt nach fast dreieinhalb Stunden nur zu freundlichem, herzlichem Applaus, in den ohne Widerspruch auch das Regieteam einbezogen wird. Das heikle Unterfangen, das dramatische Gedicht des 50-jährigen Lessing - in seiner Wolfenbütteler Zeit entstanden, aber von seiner Berliner Freundschaft zu Moses Mendelssohn geprägt - ohne plakatives Pathos, ja gar für eine jugendliche Spaßgesellschaft flott aufgeföhnt, ans Publikum zu bringen, misslingt. Dabei verzichtet Peymann auf damals als amüsant empfundene Ausstattungsanekdoten. Achim Freyers Grundraum ist rußig verkohlt, kahl, kalt, mit ein paar Grafitti von Sex und Krieg an den Wänden. Die Kostüme von Maria-Elena Amos sind in Form und Farbe oft bizarr. In Nathans Hausstand aber dominiert karges Grau und Schwarz. Man ist im Wohlstand, Aufwand verbietet der Anstand. Der jüdische Hausherr, erfolgreich, angesehen und doch beargwöhnt, füllt das Gleichnis um die Gleichwertigkeit der drei Religionen, die sich hier konfrontiert und auf eine Stufe gestellt sehen. Peter Fitz trägt den Abend, führt und hält ihn hoch. Das Herzstück, die Ringparabel, erzählt er interessant und interessiert zugleich. Nicht nur weise, sondern unaufwändig leise. Warum er so ist, wird erschütternd deutlich, wenn er später sein Schicksal, seine Pogromerfahrung offenbart: bewältigtes Leid und bewahrte Güte stellen ihn über jegliche Konfessionsgesetze. Peymanns Drang, mit Lessing nicht nur aktuell, sondern auch à la mode zu sein, führen zu Verkrampfungen zumal bei den jungen Schauspielern: Anna Böger als Tochter Recha ist allzu nordisch ungeschlacht, Markus Meyer als Tempelherr gerät flach, laut, ungelenk, jugendlich arrogant und ungebärdig quengelig in seinen Religions- und Liebeswirren. Die Kontraste zu Patriarch Veit Schubert, der zudem noch als Derwisch in Rock und Radel in Jerusalem aufkreuzt - und fromm blödem Klosterbruder (Martin Seifert) geraten klamottig.
Kindisch skurril
Die noblen muselmanischen Geschwister bekommen hier eine ungewohnte Farbe: Hans Peter Korff (Sultan Saladin) und Ursula Höpfner (Sitta) haben beschlossen, sich der Welt, also auch jeglicher Weltklugheit, zu verweigern. Der eine fast kindisch skurril, ohne philosophische Grundierung, die andere in fast schwebender Leichtfertigkeit. Wie zurückgezogen ins Kinderzimmer, wo sie mit großen Stühlen Schach spielen. Dem Leben am nächsten ist Daja. Maja-Carmen Antoni ist der zweite Trumpf dieser Aufführung: Partner und Widerpart Nathans, Kumpel und Kupplerin, lebensnahe mütterliche Freundin für Recha. Sie hat Witz, ist Magd und Herrin zugleich, putzig, drollig, gerissen und gelassen. Sie rettet den Abend am Ende: wenn Peymann mit allerlei Vordergründigkeiten und Oberflächenreizen in der "konfessionsintegrierenden sitcom" gelandet ist, holt sie ihn noch mal in die Höhe: mit einem Heiner-Müller-Text zu Lessing, den man kurzfristig als Epilog angefügt hat, werden die Maßstäbe noch mal zurecht gerückt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 1. 2002)