Der Mercedes SL 500 ist das beste Cabrio und Coupé der Welt.

Das kann einmal so ungeschützt behauptet werden, weil es erstens stimmt und zweitens kaum Konkurrenz gibt. Kein anderes Auto ist ein derart perfektes Cabrio, wenn das Dach abhebt und sich im Kofferraum versenkt. Sind wir geschlossen unterwegs, sitzen wir in einem vollwertigen Coupé, ohne dass es irgendwo pfeift oder sonst Abstriche gemacht werden müssen. In beiden Fällen haben wir es mit einem auffällig schönen Auto zu tun. Dass das Fassungsvermögen des Kofferraums bei geöffnetem Dach eingeschränkt ist, ist bei einem Sportwagen nicht weiter ungewöhnlich.

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Der Mercedes SL

ist wahrscheinlich überhaupt eines der weltbesten Automobile. Was freilich weder Wunder noch Überraschung sein sollte: Wer 115.745 Euro (1,6 Millionen Schilling) für einen Zweisitzer hinblättert, darf auf Qualität und Perfektion bestehen und wird mit weniger nicht zufrieden sein.

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Einer, den wir kennen, war offensichtlich nicht zufrieden.

Der bekannte Publizist Phil Waldeck schrieb vor ziemlich genau einem Jahr, dass der neue SL wohl der hässlichste SL aller Zeiten werden würde. Da kannte er den Wagen allerdings nur aus Prospekten - und irrte.

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Dennoch

erachtete Waldeck die Entscheidung für das neue Design als sehr klug: "Man opfert eine kurze Modell-Generation, um ihn Formel-1-ähnlich zu machen und geschlechtlich zu befreien." Waldeck war nämlich der Ansicht, dass es dem seit zwei Modellreihen durchaus maskulinen SL nicht gelungen sei, sich von diesem uralten Nitribitt-Schwarz-Weiß-Film zu befreien, der ihn als Gefährt schöner Frauen, die über große arbeitslose Einkommen verfügen, stigmatisierte.

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Zur Erläuterung:

Der jetzige SL, seit August erhältlich, repräsentiert die fünfte Generation seiner Baureihe, die 1954 mit dem legendären Flügeltürer 300 SL ihren Anfang nahm. Nicht mehr als knapp eine halbe Million Exemplare wurden seither gebaut.

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Waldeck will übrigens nicht mehr Onkel genannt werden,

da er selbst immer jünger werde, andere, angeblich auch der Autor dieser Zeilen, dagegen immer älter würden. Das schärft zwar das freundschaftliche Verhältnis, dem gegenüber einer angebotenen Wahlverwandschaft immer der Vorzug zu geben ist, lässt in seiner Kleinlichkeit aber Rückschlüsse auf eine Krise zu, die möglicherweise auch in der Beurteilung von Automobilen ihre Auswirkungen hat. Waldeck hält mittlerweile auch das Smart Cabrio für cool.

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Tatsächlich ist der SL maskuliner geworden,

dabei aber keineswegs hässlich oder hässlicher. Die neue Modellreihe ist bulliger, aggressiver im Aussehen, aber in einem derart dezenten Protz, der auch den eleganten Menschen schmückt, erst recht auch die Frauen. Dieses Auto korrumpiert jeden, der darin gesessen ist. Dabei geht es offensichtlich nicht nur um das Fahrerlebnis, das tatsächlich schon berückend ist und süchtig machende Wirkung hat. Es geht auch um das Darin-gesehen-Werden, für das beide Geschlechter gleich anfällig sind, jedes auf seine Art.

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Wir wissen von einer veritablen Beziehungskrise,

als der schöneren Hälfte für den weihnachtlichen Heimatbesuch der SL zugesagt wurde. Die Mur-Mürz-Furche war bereits in Alarmbereitschaft versetzt worden, als kurzfristig umdisponiert wurde. Der SL blieb in Wien, Madame musste in einem stinkigen, mickrigen Audi A6 mit dem reifsten aller bisherigen Automatikgetriebe die Reise in die Steiermark antreten. Drei Tage Funkstille. Und was danach folgte, war auch nicht gerade freundlich.

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Was wir damit sagen wollen:

Der SL macht, wenn schon nicht bessere, dann aber mit Sicherheit schönere Menschen aus uns. Zugegeben, der Kaufpreis ist ein hohes Eintrittsgeld in diesen erlesenen Kreis, aber wo kämen wir hin, wenn plötzlich nur noch schöne Menschen unterwegs wären?

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Apropos Automatikgetriebe:

Der SL hat ebenfalls eines. Allerdings lässt er sich wahlweise auch in fünf Gängen über bloßes Antupfen schalten. Das kann auf kurvigen Bergstraßen Spaß machen, die Automatik ist aber so vornehm und zugleich erfrischend, dass kaum per Hand gearbeitet wird. Wozu auch? Die 306 PS lassen sich jederzeit spontan abrufen, eine Andeutung mit dem Gasfuß reicht völlig, um die Pferde in den freien Galopp zu führen.

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Trotz der überschäumenden Lendenkraft und Lebensfreude

der acht Zylinder fühlt man sich erhaben und geborgen. Provokationsversuche anderer Verkehrsteilnehmer werden mit einem gütigem Lächeln ignoriert. Wer SL fährt, lässt sich nicht aus der Fassung bringen. Der SL-Fahrer ist in sich und seinem Wagen ruhend.

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Keine Frage,

dass im SL alles an elektronischen Helfern verbaut ist, was gut und teuer ist. Selbstverständlich auch, dass im Innenraum Leder, Edelhölzer und schickes Aluminium vorherrschen. Was man nicht sieht: Auch ein Teil der Karosserie, etwa Motorhaube, vordere Kotflügel und Türen sind aus Aluminium gefertigt. Was jedenfalls ein Erlebnis ist, erst recht für den Außenstehenden: die 16 Sekunden, in denen alles klappt und öffnet und schiebt und den SL von einem Roadster in ein Cabrio verwandelt. (Michael Völker, AUTOMOBIL, 4.1.2002)

DATENBLATT
Preis: 115.745 EURO (1,592.683 Schilling)
Antrieb: Achtzylinder in V-Anordnung, 4966 cm³, 225 kW (306 PS), max. Drehmoment 460 Nm bei 2700-4200 U/min
Fahrleistungen: 0-100 km/h in 6,3 sec, Spitze 250 km/h
MVEG-Verbrauch (Stadt/Land/ gesamt): 19,1/9,2/12,7 l auf 100 km

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