Brüssel - In der Europäischen Union sind Menschen deutscher Muttersprache die größte Sprachgruppe. Noch nie habe es aber "eine Zeit gegeben, in der so viel über den Status von Sprachen und des Deutschen nachgedacht wurde", sagte Rudolf Hoberg, Germanistikprofessor und Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden. Es könne heute nicht darum gehen, "Deutsch zu pushen", sondern die Sprache zu pflegen. Denn, dass Englisch Lingua franca, Verkehrssprache, geworden ist, sei unbestreitbar. Aber die Vielsprachigkeit Europas müsse erhalten, die Mehrsprachigkeit gestärkt werden, betonte Hoberg bei einem Symposium in Brüssel.Keine Sprachgesetze Das war auch die meistgehörte Forderung bei der Veranstaltung, die GfdS, Goethe-Institut und Freie Universität Brüssel als Nachtrag zum "Europäischen Jahr der Sprachen" (2001) organisiert hatten. In diesem Jahr wollten EU und Europarat den Nutzen der Mehrsprachigkeit in Europa bewusst machen. Für Sprachgesetze votierte bei der Tagung nur der Franzose Albert Salon. "Darf ein Land nicht mehr seine Sprache schützen?", fragte er. Solle "die Wirtschaft über die kulturelle Identität des Volkes gestellt" werden? Diesen Weg will Deutschland offenbar nicht gehen: Der deutsche Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) stellte sich "gegen den Zungenschlag", das Englische zurückdrängen zu wollen. Damit würde man sich "gegen die junge Generation versündigen". Denn weniger als zwei Prozent der wissenschaftlichen Publikationen erschienen noch in Deutsch oder Französisch, und Deutsch sei nicht mehr Wirtschaftssprache wie Ende des 19. Jahrhunderts. Als "normale Kommunikationssprache" sei es hingegen nicht bedroht. "Lebensformen teilen" Englisch könne zudem in einer erweiterten Europäischen Union eine Fremdsprache sein, die alle verstehen. Und bei der Mehrsprachigkeit plädierte der Minister dafür, diese eher als das "Teilen von Lebensformen" zu sehen, denn so sei sie ein "Bindemittel der europäischen Kultur". Eingefordert wurde Mehrsprachigkeit aber auch von unerwarteter Seite: Der Brite Martin Durrell, Germanistikprofessor an der Universität Manchester, geißelte "die notorische Einsprachigkeit der Briten". Er selbst zähle zur "sehr kleinen Minderheit, die eine Fremdsprache können". Britanniens Elite habe jedoch keine Sprachkenntnisse. Ihr Englisch sei zudem oft so, dass Außenstehende es auch bei guten Kenntnissen nicht verstünden. Darum müssten die Briten auf die Sprachkompetenz der Englischsprechenden anderer Länder eingehen, damit das "globalisierte Gebrauchsenglisch" auch für sie selbst gut sei. Diese Fähigkeit hätten Briten aber nur, wenn sie selbst eine Fremdsprache kennen, sagte Durrell: Nur durch Mehrsprachigkeit könnten daher auch sie die "Herausforderung durch die Globalisierung der englischen Sprache bewältigen". (sda) (DER STANDARD, Printausgabe, 4.1.2002)