... Aber die Ausscheidung der Nase mit dem Taschentuch aufzunehmen, ist eine hochanständige Sache". Soweit Erasmus von Rotterdam (1469 - 1536).In der strengen spanischen Hofetikette unter Philipp dem II. (1527 - 1598) wurde die Dame beim Tanz von ihrem Kavalier ohne Berührung am Taschentuch geführt. In der Renaissance wurde das Taschentuch zum aufwendigen Ziertuch. Die juwelenbesetzte Prunk-Taschentücher waren selbstverständlich für die Augen gedacht und nicht für die Nase. Und dann war da noch die parfümgetränkte Version mit dem anrüchigen Namen «Mouchoir de Vénus», Taschentücher zum Fallenlassen und zum Kopfverdrehen ... Es gab allerdings vereinzelt schon das aufnahmebereite «Fatzolet», das man - einem Benimmbuch des 17. Jahrhunderts zufolge - doch bitteschön nur unbenutzt verleihen sollte… Mehr und mehr steckten nun im Laufe der Jahrhunderte auch die Bürger ihre Nase ins Tuch, das - ohne Juwelen und schwere Damast-Dreingaben - immer leichter wurde, aus weissem Leinen gewirkt war, aus Batist oder Mousseline. Im 19. Jahrhundert schliesslich kann man Stoffe massenweise maschinell bedrucken - und da entfaltet sich eine ganz neue Taschentuchwelt: Von Stadtplänen über Kriegsschauplätzen bis königliche Häupter, je mehr aufs Taschentuch gedruckt wurde, desto weniger kam hinein... Die blühende Druck-Vielfalt scheint jedenfalls das letzte Aufbäumen der Stoff-Tradition gewesen zu sein. Kurzfristig wuchsen die Taschentücher auf Kopftuchformat im Zeitalter des Schnupftabaks. Dann aber folgte der unaufhaltsame Siegeszug des Zellstoffs: 1894 gab es das erste Papiertaschentuch, 1929 dann meldeten die Vereinigten Papierwerke Nürnberg den Namen "Tempo" zum Patent an, und - nomen est omen - innerhalb von zehn Jahren schnellten die Produktionszahlen auf 400 Millionen Stück hoch. Als Ende der sechziger Jahre das Tempo-Patent auslief, hatten sich europaweit über fünfzig verschiedene Marken etabliert - und doch bleibt "Tempo" mit einem Marktanteil von einem Drittel Marktführer unter den Nasenreinigern. (red)