Masters Of Reality
Deep In The Hole
(NSM)

Foto: NSM
Die Zukunft des Rock liegt möglicherweise in seiner großen Vergangenheit. Von der trotz chronischer Missachtung außerhalb der Fachzirkel prosperierenden Metal-Szene einmal abgesehen - wo Bands wie beispielsweise Fear Factory im Spannungsfeld von Härte, Melodie und Computerunterstützung seit Jahren Bemerkenswertes leisten -, beziehungsweise Mike Pattons hier vor kurzem vorgestelltes Ipecac-Label und Wunderbands wie Fantomas oder die Melvins igorierend: Spätestens als Nirvana als letzte anerkannte Innovatoren im Rock die Alternative-Szene in den Mainstream geführt hatten und sich die Welt seither mit Pearl Jam ebenso herumschlagen muss wie sich Metallica die Haare und die Gitarrensolos kurz schneiden ließen, spätestens Anfang der 90er-Jahre war also Schluss mit der Begriffskopplung von Rock und Moderne. Rock verbreitet seither den öden Geruch von abgetragenen Semperit-Turnschuhen und Lederhosen bei Sommer-Open-airs. Man lasse neben Pearl Jam nur einmal heute angesagte pathetische Ödbären wie Creed oder Nickelback oder Train an seinem inneren Ohr vorbeileiden! Dass es auch anders geht, beweisen seit einigen Jahren nicht nur die kalifornischen Queens Of The Stone Age (QOTSA), die im Vorjahr mit dem wunderbaren Album R eine der seit den Flaming Lips und ihrem untergegangenen Meisterwerk The Soft Bulletin tatsächlich musikalisch abwechslungsreichsten (mit der Betonung auf reich) Arbeiten im Genre vorlegten, sondern auch einmal mehr die Masters Of Reality. Bei den Masters Of Reality handelt es sich um ein großteils im Alleingang von QOTSA-Produzent Chris Goss in der kalifornischen Wüste in Joshua Tree betriebenes Langzeitprojekt, das nach gut zehnjähriger Anlaufphase spätestens 1993 mit der bahnbrechenden CD Sunrise On The Sufferbus gemeinsam mit dem alten Sixties-Helden Ginger Baker, dem legendären Schlagzeuger und Acid-Head von Cream, versuchte, alte Blues- und Hardrockmuster mit der Melodienseligkeit der Beatles zu koppeln und mittels synthetischer Drogen in den Weltraum zu jagen. Neben dem Kompositionstalent von Chris Goss, der bei aller Schwere und der im Midtempo-Bereich angesiedelten, ledrigen Zähigkeit seiner Rockermentalität immer darauf achtet, dass die Songs auch eine gewisse Form von Eleganz und den Touch von mit leichter Hand gezeichneten prototypischen Studien besitzen, sticht hier vor allem auch seine ein ganzes Subgenre definierende Produktionstechnik hervor. Goss machte schon in den frühen 90er-Jahren hinter dem Mischpult einst die Vorgängerband von QOTSA, die mächtig und erhaben durchgeknallten Kyuss zur zentralen Band der Sparte Stoner Rock. Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker! Auch mit weitgehend unbeachteten Alben von Masters Of Reality selbst, etwa How High the Moon oder Welcome To The Western Lodge , führte Goss eine tief im britischen Hardrock von Black Sabbath oder Led Zeppelin - und immer an die Beatles und vor allem auch an Ziggy Stardust denken! - fußende Tradition ins 21. Jahrhundert, die heute auf seinem neuen Album Deep In The Hole mit Songs wie Third Man On The Moon oder Counting Horses einen neuen kreativen Höhepunkt erreicht. Der Weltraum, unendliche Weiten. Durch das kosmische Wummern der Rhythmussektion sägt sich der einsam klagende Gitarrenton des Silver Surfers. Das Raum-Zeit-Kontinuum ist dank halluzinogener Drogen aufgehoben. Hier reist einer im Sinne von Frank Herbert ( Der Wüstenplanet ) durchs All, ohne sich zu bewegen. Rock war, ist und wird sein. "Und funk ich hier ins Mikrophon, hört man im Weltall jeden Ton. Wir funken bis zum Untergang ins Weltall kilometerlang." Wer errät, von wem dieser Text stammt, bekommt ein Exemplar des besten Albums des Jahres in der Sparte Rock frei Haus zugestellt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14. 12. 2001)