Die Windschutzscheiben- Pockenepidemie:

Die Geißel des Automobilisten. Die zivilisierte Welt musste ihre Ohnmacht vor dieser schrecklichen Krankheit eingestehen. Das war 1954. In Seattle. USA.

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Anfang März

berichteten mehrere Zeitungen von rätselhaften Windschutzscheibenschäden in einer Kleinstadt nördlich der Metropole. Die Polizei ermittelte, vermutete Vandalismus, fand keine Indizien, ermittelte weiter. Ohne Ergebnis. Mittlerweile hatte sich die Seuche unkontrolliert ausgebreitet. Mehrere Städte waren betroffen. Schließlich griff die Krankheit auf Seattle über. Nun war nichts mehr so, wie es einmal war.

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14. April 1954.

Ein schicksalsträchtiges Datum. An diesem und am darauffolgenden Tag gingen bei der lokalen Polizei Anzeigen über beschädigte Windschutzscheiben bei mehr als 3000 Autos ein. Die Symptome: Verkratzte Scheiben, narbenähnliche Vertiefungen, mysteröse Blasen. Die Behörden tappten im Dunkeln. Angst ging um. Nackte Angst.

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Die Zeit für die amerikanische Bürgergesellschaft war gekommen.

Automobilisten deckten ihre Wägen mit Planen ab, bildeten Wacheinheiten, bauten Garagen zu Hochsicherheitsarealen aus. Die Ursachenforschung war an Wahnwitzigkeit nicht mehr zu übertreffen. So hätten etwa in winzigen Scheibenrissen abgelegte Eier von Sandflöhen den "Pockenbefall" ausgelöst. Diese und andere Thesen wurden jedoch prompt widerlegt. Schiere Verzweiflung machte sich breit. Die Apokalypse?

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Doch dann geschah ein Wunder.

Das Wunder von Seattle. Die Epidemie ebbte innerhalb weniger Tage ab und verschwand schließlich vollständig. Die große Windschutzscheibenpockenepidemie: Nur eine Fingerübung des Schicksals? Eine deutliche Warnung an die USA, das Sodom und Gomorrah automobiler Ekstase? Man wird es nie erfahren. Es war ... ein WUNDER. Das heißt, wie bei diesen exquisten Fällen üblich, ...

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NACHDENKEN VERBOTEN!

"Bewegt" lässt sich jedoch vom grassierenden "ES IST EIN WUNDER"-Gejauchze nicht kirre machen. Kein bisschen. "Bewegt" denkt nach und relativiert: Die große Windschutzscheiben- Pockenepidemie war nichts anderes als eine Massentäuschung. Die Autofahrer von Seattle richteten ihren Blick AUF ihre Scheibe, statt hindurchzusehen und das, was sie entdeckten, schürte Angst, irrationale Angst. Soziologen wiesen nach, dass kurz zuvor durchgeführte H-Bombentests tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung ausgelöst hatten. Die Windschutzscheibenpanik: Eine kollektive Form der Bewältigung dieser Ängste.

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"Bewegt"

schenkt Ihnen mit dieser erhellenden Erkenntnis nicht nur ein Schutzengerl gegen irrationale Ängste. "Bewegt" nimmt Ihnen auch die Furcht vor dem Alltag. Dem Windschutzscheibenpecker- Alltag. FORSTINGER und derStandard.at/leichtsinn verlosen unter allen DenkerInnen drei FORSTINGER-Gutscheine über jeweils öS 500,- (EURO 36,32). Die Aufgabe: Vervollständigen Sie folgende Zeile zu einem kleinen Gedicht:
Padautz, auf meiner Windschutzscheibe...

Senden Sie Ihre Zwei-, Drei-, oder Mehrzeiler an Kommunikaze
(Einsendeschluss: 12.12.2001, keine Barablöse, keine Zweckbindung.)

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www.forstinger.net

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