Wien - Man möge verzeihen, dass im Vorspann zu diesem Text nicht die Worte "Hammett", "Chandler", "Film Noir", "existenzialistisch" und "fatalistisch" vorkommen (womit wir das quasi nebenher erledigt hätten). In der Tat ist der jüngste Film der Brüder Ethan und Joel Coen ohne die mächtigen Schattenrisse klassischer Vorbilder aus den 40er-Jahren nicht denkbar.
Noch mehr als bei der verspielten Detektivkomödie The Big Lebowski will es aber scheinen, als wären die stilistischen Schwarzweiß-Verweise ebenso nur ein Vorwand wie die ewige Geschichte des Losers, der sich - möglichst von einer Frau - zu einem Mord überreden lässt: Ein Vorwand, wie schon für Chandler, Hammett und Co Handlung ein Vorwand dafür war, besser erzählen zu können, dass gar nichts läuft.
Ein wesentliches Motiv von The Man Who Wasn't There sind Haare: Der Protagonist (Billy Bob Thornton) ist Friseur - und das Drehbuch macht rein gar nichts daraus. Ja, die Menschen sitzen und reden im aufwendig eingerichteten Haarsalon, aber man sieht nie die Arbeit, für die sie da bezahlen. Und so entsteht dabei bereits ein merkwürdiger Freiraum, oft gefüllt mit den herrlichst sinnlosen Dialogen, aber nebenher denkt man darüber nach, wie denn Thorntons Toupet gemacht wurde und dass Haare nach dem Tod weiterwachsen.
Wie eigentlich alle Coen-Filme ist auch dieser eine Variation über den Tod. Manche Menschen schneiden fürchterliche Grimassen, bevor er eintritt (das sah man in Fargo), manche verlieren nachher die Asche ihrer engsten Freunde (The Big Lebowski). Manche schlagen sich einfach so durchs Leben und verzetteln sich in Leidenschaften für Haarpomade (O Brother Where Art Thou?). Und manche, wie dieser Mann hier, der eigentlich nicht da war, denken darüber nach, ob es da nicht etwas anderes geben könnte.
Sinn zum Beispiel. Oder ein höheres Gefühl. Eine wirkliche Leidenschaft. Und unversehens kippt dieser Film um in eine Variation von Vladimir Nabokovs Lolita, dessen Protagonisten man durchaus reizvoll in der Tradition schwacher Helden bei Musil oder Italo Svevo (Zeno Cosini) sehen könnte: Unser Friseur beginnt ein junges Mädchen zu verehren, das Klavier spielt. Und weil er leider kein Gehör hat, merkt er nicht, dass sie radikal unbegabt ist.
Aber liebt er sie? Er liebt es, ihr zuzuhören. Und er liebt sich selbst, wenn er ihr zuhört. Und so sind auch die stockenden Melodien, die das Mädchen spielt, ein Vorwand. Andere spielen hier Bingo. Und wieder andere spielen mit dem Gedanken, es gäbe Außerirdische. Als Betrachter lacht man sich darüber bisweilen, wie man so schön sagt, krank. Aber es ändert nichts an der Melancholie, die einen beschleicht, wenn man spürt, wie sich alles verflüchtigt. Wie Rauch.
Unser Friseur ist übrigens starker Raucher. So wenig man ihn beim Haare schneiden sieht, so oft zieht er an irgend einer Zigarette. Der Film könnte auch The Man Who Smoked Too Much heißen. Und hinter seinen Rauchschwaden gewinnt letztlich auch nur die Sehnsucht Kontur: Wie das jetzt wäre, wenn man nicht lächerlich, sondern Held in einem wirklich großen Drama wäre. Ohne Frisierstühle, die (retrospektiv) von einem elektrischen Stuhl gar nicht so unähnlich sind. Aber das ist vielleicht auch nur ein blöder Kalauer, in einer Geschichte über Menschentypen, über die man in den amerikanischen 40er-Jahren praktisch nur in (schwarzer) Serie erzählt hat. Pulp Fiction ...
The Man Who Wasn't There erzählt beiläufig davon, dass vielleicht eigentlich diese Serienproduktion mitsamt ihren mörderischen Wiederholungen selbst ein großes Drama war. Man könnte nachher dazu Barton Fink, ebenfalls einen Coen-Film, ansehen: Billy Bob Thornton ist gleichsam eine Figur, die John Turturro ebendort als Drehbuchautor erfunden haben könnte.