Mensch
Verlustängste und der Umgang in der Familie
Versorgungslücke bei Kommunikation zwischen Eltern und Kindern
Wien - "Vieles bleibt unausgesprochen, weil Krebs noch immer als
individuelles Schicksal und nicht als Familienereignis begriffen
wird. Eine enorme Versorgungslücke klafft bei der Kommunikation
zwischen Eltern und ihren Kindern", skizzierte die Geschäftsführerin
der Wiener Krebshilfe, Bettina Brandtner, die Idee im Gespräch mit
der APA. Ansetzen möchte das Projekt "Mama hat Krebs" daher genau
dort, wo die Dinge ungesagt bleiben und Spannungen entstehen könnten.Schweigen ist keine gute Lösung
"In den meisten Fällen entscheiden sich die Eltern zum
vermeintlichen Besten des Kindes für das Schweigen. Sie wollen die
Krankheit mit sich selbst ausmachen und ihre Sprösslinge nicht
beunruhigen. Doch durch einschneidende Therapien kann man die
Krankheit nicht verstecken", weiß die engagierte Fachfrau. Wenn dem
Kind bewusst ein aufklärendes Gespräch vorenthalten wird, fühle es
sich "zu Recht ausgegrenzt und isoliert".
Befürchtete Verlustangst
Aus einem befürchteten Verlust könne sogar eine psychische
Störung hervorgehen, die das Kind bis in die Adoleszenz und das
Erwachsenenalter begleitet. Brandtner: "Schuldfragen wie 'Was habe
ich bloß gemacht, dass Mutti so leidet' sind die weitere Folge.
Häufig kann es passieren, dass die Kinder bzw. Jugendlichen sich
aufgefordert fühlen, in die Rolle der Mutter bzw. des Vaters zu
schlüpfen, um Verantwortung für jüngere Geschwister zu übernehmen,
oder sogar glauben, als Partnerersatz dienen zu müssen. Aus jungen
Menschen werden Erwachsene herangebildet, die auf Grund ihres Alters
oder Reifegrades nie das erfüllen können, was sie vorgeben",
schilderte die Expertin. Das "Kindsein" werde von einem Tag auf den
anderen abgelegt und verdrängt, was meist ungeahnte Folgen für
spätere Beziehungen und Partnerschaften bedeutet. Eine altersadäquate
Information sei daher besser als medizinisches Fachvokabular.
Kommunikationsbarrieren
Im Rahmen von Gruppen- und Einzeltherapien sollen die Patienten
daher lernen, mit der Krankheit umzugehen und Kommunikationsbarrieren
zur Umwelt abzubauen. "Reden ist quasi der Motor zur Bewältigung der
Krankheit. Eine offene, auf Vertrauen basierte Kommunikation
innerhalb des Familienverbandes wirkt für alle wie Balsam auf der
Seele und unterstützt nachweislich anfängliche Probleme", meinte die
Expertin. So werde bei extrovertierten Patienten, die sich ihrem
Umfeld mitteilen, dieser Bewältigungsprozess leichter in Gang
gesetzt, als bei jenen, die ihre Ängste und Nöte verbergen oder gar
verdrängen wollen.
"Vor allem Frauen erleben ein Dilemma, wenn ihnen bewusst wird,
dass kleine, aber reale Probleme nicht mehr allein zu schaffen sind.
Innerhalb der Familie obliegt ihr (der Frau, Anm.) in der Regel die
Rolle als Versorgerin, die sie in den nächsten Monaten nicht erfüllen
kann. Durch die psychologische Betreuung der Familien kann den
Patientinnen auch dieser Ballast genommen werden", so Brandtner. (APA)