Falter: Das Dreier-Team der Landeshauptleute-Konferenz hat am Montag die Verhandlungen mit Ariel Muzicant begonnen. Warum hat Sie Ihr Finanzstadtrat Sepp Rieder bei diesem Treffen vertreten? Michael Häupl: Leider war ich zu diesem Zeitpunkt im Ausland, um Werbung für Wien zu machen. Aber der Präsident der israelisch-österrichischen Gesellschaft, Finanzstadtrat und Verhandler in Finanzausgleichsfragen Sepp Rieder ist ohnedies der beste Mann für diese heikle, aber wichtige Materie. – Ariel Muzicant meint, bei dem betreffenden Vermögen handelt es sich um eine Größenordnung von sieben bis acht Milliarden Schilling. Im Laufe der Zeit hat es aber immer wieder Rückgaben, etwa von Grundstücken, gegeben, die korrekt waren. Falter: Die meint Muzicant ja wahrscheinlich nicht: Auf vielen Grundstücken ist vor 1938 etwas draufgestanden, das der Kultusgemeinde gehört hat und zerstört wurde: Synagogen, Bethäuser, Schulen. Auch hunderte Vereine, Fonds und Stiftungen wurden arisiert. Häupl: Dazu gibt es zwei Meinungen. Die eine sagt, dafür gibt es diesen Fond, in den Österreich 210 Millionen Dollar zahlt, und aus dem fließen auch diese Entschädigungen. Die Gemeinde Wien hat da bereits 35 Millionen Dollar von den hundert, die die öffentliche Hand aufbringt, bezahlt. Der Rest kommt von der Industrie. Wir haben auch erhebliche Beträge in den Fond zur Entschädigung der Zwangsarbeiter eingezahlt, wo die anderen Bundesländer nichts beigetragen haben. Falter: Die andere Meinung ist die von Ariel Muzicant: Er hat den Entschädigungsvertrag über arisiertes Vermögen in Washington nicht unterschreiben sondern nur paraphiert, weil die Regierung das zerstörte Eigentum der Kultusgemeinde nicht in das Restitutionsabkommen mit hineinnehmen wollte. Wofür treten Sie nun bei den Verhandlungen ein? Häupl: Das ist eine Verhandlung, die eigentlich der Bund zu führen hat. Ich will das Problem deswegen gelöst wissen, weil man sonst diese Streitbeilegung nicht kriegt – und solange diese Rechtssicherheit nicht gegeben ist, wird aus dem Fonds nichts ausbezahlt. Falter: Heißt das, dass es Rechtssicherheit erst gibt, wenn Muzicant das, was er bisher paraphiert hat, unterschreibt? Häupl: Nein. Die Rechtssicherheit ist dann gegeben, wenn zwei noch verbliebene Sammelklagen, zurückgezogen oder von US-Gerichten abgewiesen werden. Muzicant hat aber in einem Brief an die Landeshauptleute-Konferenz ein bisschen unbestimmt geäußert, dass er Einfluss auf eine der Klägergruppen habe. Falter: Wien will also nicht mehr recht viel zahlen? Das habe ich nicht gesagt. Was ich natürlich nicht will, ist, dass Wien alles zahlt und alle anderen lehnen sich zurück. Falter: Jetzt kann man natürlich fragen, ob sich Wien an den bisherigen Zahlungen bereits überproportional beteiligt hat? 1938 lebten etwa 80 Prozent der Juden in Wien. Häupl: Das ist bedauerlicherweise als Befund richtig. Ich halte die Schlußfolgerungen allerdings für verwegen. Die Republik Österreich, die eigentlich Rechtsnachfolger ist, sagt, das gehe sie nichts an. Graz, wo es eine florierende, blühende jüdische Gemeinde vor 1938 gegeben hat, sagt, das gehe es nichts an. Dasselbe gilt für Niederösterreich, das Burgenland, Salzburg. Der Herr Bundeskanzler, dessen Aufgabe es eigentlich wäre, zu verhandeln, ist der härteste Vertreter dieser Auffassung: Er sagt einfach „Basta!“. Und deswegen muss Muzicant nun selbst mit der Landeshauptleute-Konferenz verhandeln. Falter: Wien ist wahrscheinlich trotzdem besonders gefordert. Anders als in Deutschland mußte die Kultusgemeinde nach dem Krieg selbst Ihre Infrastruktur erhalten und so bis in die 60er Jahre Ihre Immobilien um einen Spottpreis verkaufen, – natürlich auch, um den Flüchtlingen, die in Österreich gestrandet waren, weiterzuhelfen. Nun hat sie über 600 Millionen Schulden. Häupl: Wien hat im Vergleich zu den anderen bis jetzt schon viel getan: Den Aufbau der Lauder-Chabad-Schule, den ganzen Esra-Bereich (jüdische Altersheime, Anm.), die Unterstützung für den Jewish Welcome Service und so weiter. – Das erkennt die Kultusgemeinde auch an. Das Kernproblem ist, dass die Kultusgemeinde einen Jahresabgang von etwa 30 Millionen Schilling hat, 27 Millionen davon gibt sie allein für die Sicherheit ihrer Mitglieder aus. Daher die Schulden - das ist natürlich nachvollziehbar. Allerdings wäre es schön gewesen, hätte man sich in der Kultusgemeinde so verhalten, wie das jeder Vereinsvorsitzende oder Unternehmer tun müße. Lange Zeit hat man offenbar in der Hoffnung gelebt, dass diese Abgänge von irgendjemanden stillschweigend bezahlt werden. Erst durch Präsidenten Muzicant wurde die Öffentlichkeit auf diese Diskrepanzen hingewiesen. Und nun gibt es zwei Lehrmeinungen: Die einen sagen, wir ersparen uns die Zinsen, wenn wir helfen, die Schulden zu begleichen. Die anderen sagen, die sollen sich um ihre Schulden selber kümmern, weil sie ohnehin 1,2 Milliarden Schilling Grundstückvermögen haben. Und wir helfen ihnen dafür beim Unterhalt des Jahresbetriebes, sodass es keine Neuverschuldungen pro futuro gibt. Falter: Wien hat nach 1945 günstig Grundstücke gekauft, als die Kultusgemeinde in einer Zwangslage war. Wird auch das Thema bei den Verhandlungen sein? Häupl: Nein. Bei Sachen, die rechtmäßig erworben wurden, sicher nicht. Dass die Grundstückpreise im Jahre 1946 oder 47 andere gewesen sind als heute, liegt auf der Hand. Falter: Aber selbst der Restitutionsvertrag für den Bund sieht vor, dass „extrem ungerechte Verfahren“ noch einmal beleuchtet werden sollen. Häupl: Falls es so etwas geben sollte, dann schauen wir uns das natürlich an. Wenn es allzu günstige Käufe – wie zum Beispiel beim Bärental – gegeben hat, dann sage ich, „gut“. Falter: An den Verhandlungen nimmt ja auch Jörg Haider teil. Das ist doppelt pikant: Einerseits weil, wie Sie schon gesagt haben, sein Bärental ... Häupl: Ja, es ist erstaunlich, dass der gute Mann selber im arisierten Gelände da unten sitzt und dass das eigentlich kein politisches Thema ist. Falter: Und zweitens, weil er Muzicant während des Wiener Wahlkampfes antisemitisch angepöbelt hat und Sie mit Ihren Zurechtweisungen für Haider unter anderem die Wahl gewonnen haben. Häupl: Ja auch. – Ich kann es mir aber jetzt nicht aussuchen. Wenn die Landeshauptleute-Konferenz glaubt, eine derartige Delegation bestimmen zu müssen, dann soll sie es tun. Es gibt eben auch das Pro-Argument, dass ohne finanzielle Hilfe des Bundes, das Problem nicht gelöst werden kann. Daher ist es vernünftig, wenn der De-Facto-Parteiobmann gleich dabei ist, und nicht die Stellvertreterin, (weist aus dem Fenster) die da drüben im Vizekanzleramt sitzt. Aber für andere Gesprächsteilnehmer ist die ganze Situation ja noch weitaus pikanter: Muzicant etwa. Ich muss ja auch in der Landeshauptleute-Konferenz mit ihm (Haider, Anm.) sitzen. Aber dort ist er eh ein Lamperl. (red)