Literatur
"Bitter notwendige Bücher": Gauß erhielt Buchhandels-Ehrenpreis
Preisträger wandte sich in Rede gegen Sprachprüfung für Ausländer, "ökonomischen Rassismus" und "genetische Gerechtigkeit"- Buchwoche eröffnet
Wien - Dem Salzburger Schriftsteller, Essayisten und
Kritiker Karl-Markus Gauß (47) wurde am Montag Abend im Wiener
Rathaus zur Eröffnung der 54. Österreichischen Buchwoche der mit
100.000 Schilling dotierte "Ehrenpreis des österreichischen
Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln" übergeben. Er sei ein
"forscher Spurensucher und Entdecker im europäischen Haus", der sich
nicht für die Beletagen, sondern für die "Abstellkammern,
Kellerwohnungen und Notunterkünfte" interessiere, meinte der Tiroler
Künstler Paul Flora in seiner Laudatio, Gauß wisse, dass "Europa aus
43 Ländern und aberdutzenden Völkerschaften" bestehe.
"Gauß hat immer bitter notwendige Bücher geschrieben", meinte
Flora, er sitze nicht "am Feinschmeckertisch der schönen Seelen", er
sei ein "Sprachkünstler von hohen Gnaden", ein "sachlicher Reporter,
ein Chronist", der leise Ironie ebenso beherrsche wie Polemik -
Letzteres jedoch stets, ohne "Schaum vor dem Mund" zu haben. Gauß, zu
dessen Veröffentlichungen die Bücher "Die Vernichtung Mitteleuropas",
"Ins Unentdeckte Österreich" und "Das Buch der Ränder" zählen, sei
kein arroganter Besserwisser, er lebe in der Provinz, sei aber "bei
Gott kein Provinzler".
Bisherige Preisträger des seit 1990 vergebenen Ehrenpreises waren
Milo Dor, Viktor Frankl, Inge Merkel, Kardinal Franz König, Gerhard
Roth, Simon Wiesenthal, Hugo Portisch, H.C. Artmann, Christine
Nöstlinger, Sir Peter Ustinov und Josef Haslinger. Gauß bedankte sich
für die Auszeichnung mit einer fulminanten Rede, die der Sprecher und
Regisseur Peter Gruber (anstelle des ursprünglich vorgesehenen,
jedoch tödlich verunglückten Schauspielers Georg Schuchter) vortrug.
"Wenn man jemanden gar nicht mag, dann sind das bekanntlich die
Nachbarn und die Verwandten" - so begann Gauß seinen "Über Nachbarn
und Nationen, Toleranz und Gerechtigkeit" betitelten Text, in dem er
scharf gegen Intoleranz und Unrecht auftrat, denn "die Toleranz ist
ein Anspruch, der immer hiesig und heutig ist".
Sprachprüfung für Inländer
"Der Sprachprüfung für Ausländer stimme ich nur zu, wenn sich ihr
auch die Inländer regelmäßig unterwerfen müssen", meinte Gauß, denn
an der Schändung der deutschen Sprache arbeiteten nicht etwa
Ausländer: "Die tagtägliche Misshandlung unserer Sprache ist das Werk
von Inländern." Gauß, der auch Herausgeber der renommierten
Zeitschrift "Literatur und Kritik" ist, meinte weiter, er "traue dem
Abgesang auf die Nationen nicht so recht", warnte vor einem
"ökonomischen Rassismus" und einer "genetischen Gerechtigkeit".
Die 54. Österreichische Buchwoche ist im Wiener Rathaus bis zum
2.12. tgl. von zehn bis 20 Uhr geöffnet und präsentiert erstmals
neben der österreichischen Buchproduktion auch eine kleine Auswahl an
Berliner Verlagen. Die Veranstalter hoffen, den Vorjahresbesuch (rund
70.000) heuer nochmals zu übertreffen. (APA)