Gerichtliche Entscheidungen (siehe Im Namen der Republik! ) sind zur Kenntnis zu nehmen und zu respektieren. Im Fall des Urteils des Oberlandesgerichtes Wien unter dem Vorsitz von Senatspräsidenten Ernest Maurer (er war auf Vorschlag der FPÖ im ORF-Kuratorium; Anm.) ist das nicht möglich. Der Verurteilung des STANDARD und der innenpolitischen Ressortchefin Katharina Krawagna-Pfeifer ist eine erstinstanzliche strafgerichtliche Verurteilung des früheren FPÖ-Chefs Jörg Haider vorangegangen, die mittlerweile wieder aufgehoben wurde. Anlass für die Verurteilung war, dass Haider im Zusammenhang mit dem Fall Werner Doralt einen gerichtlich aufgetragenen "Widerruf" abgeändert und mit neuerlichen Vorwürfen gegen Doralt ergänzt hätte. Haider hatte nämlich dem Innsbrucker Finanzrechtler 1992 vorgehalten, er sei in einen Skandal verwickelt und daher als Rechnungshofpräsident nicht tragbar. Es kam zur gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen Haider und Doralt. Haider wurde in der Folge zu einem Widerruf verurteilt. Doralt wurde 1992 nicht Rechnungshofpräsident. Haider sollte die Vorwürfe gegen Doralt, die er unter anderem auch im ORF erhoben hatte, auch im Fernsehen widerrufen. Er bot jedoch einen Widerruf an, in dem die Vorwürfe erst recht wiederholt worden wären. Haider und sein damaliger Anwalt Dieter Böhmdorfer wurden deshalb 1998 wegen "versuchter übler Nachrede" erstinstanzlich verurteilt. In der Urteilsbegründung hieß es: Sie (Haider und Böhmdorfer; Anm.) hätten "im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter durch Verfassen eines Textes, Aufnahme eines Videobandes mit diesem Text und dessen Versenden an den ORF zum Zwecke der Ausstrahlung" eine "versuchte üble Nachrede" begangen. Beim Versuch ist es nur deshalb geblieben, weil der ORF das Video nicht ausgestrahlt hat, da von den Sendeverantwortlichen die "üble Nachrede" erkannt wurde und sie die Ausstrahlung des Videos verweigerten. In der Folge kam es zum STANDARD-Kommentar von Katharina Krawagna-Pfeifer, in dem die Vorgangsweise Jörg Haiders kritisiert wurde. Die dabei gewählten Formulierungen wurden zum "Knackpunkt" des nunmehrigen Urteils: Nach Ansicht des OLG Wien darf nämlich die versuchte üble Nachrede nicht mit dem "behaupteten erfolgreichen Zerstören des guten Rufes und der Zukunftschancen eines Menschen" gleichgesetzt werden. DER STANDARD hätte also schreiben dürfen, dass "Haider immerhin in erster Instanz wegen übler Nachrede verurteilt wurde" - auch wenn es "nur" beim Versuch geblieben ist. Dass eine üble Nachrede aber schon begrifflich beinhaltet, den "guten Ruf" eines Menschen zu beeinträchtigen, was in der Regel auch den Ruin seiner Zukunftschancen zur Folge hat, wird damit vollkommen außer Acht gelassen. DER STANDARD ist der Meinung, dass diese "künstliche" Differenzierung zwischen übler Nachrede und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen die Meinungsfreiheit empfindlich verletzt. Außerdem findet sich in der Urteilsbegründung Pauschalkritik an den STANDARD-Kommentaren, die in bemerkenswerten Unterstellungen gegenüber der Leserschaft des STANDARD gipfelt. Den Leserinnen und Lesern wird unterstellt, dass sie eine "negative Grundhaltung" gegenüber der FPÖ und deren ehemaligem Obmann Jörg Haider hätten und daher bereitwillig nur das Schlechteste über die FPÖ und Haider glauben. Den Leserinnen und Lesern des STANDARD wird also de facto die Fähigkeit zur eigenständigen Meinungsbildung abgesprochen. Gegen das Urteil wird daher vom STANDARD sowohl bei der Generalprokuratur in Wien eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes angeregt als auch Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erhoben. (red/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.11.2001)