Der Fluss ist breit, das Boot äußerst schmal. Der Fährmann, der die Passagiere ans andere Ufer bringt, hievt die Rucksäcke in die Mitte des Kahns. Der Balance wegen, bedeutet er noch mit einer Handbewegung. Dann geht es los, knatternd und stockend, vorbei an Wasserwirbeln und vielen Stromschnellen. Von einem Ufer des Mekong bringt der Fährmann die Passagiere ans andere - von Thailand bringt er sie nach Laos.

Hier oben in den Bergen, am Rande des Goldenen Dreiecks, im Vierländereck zwischen Thailand, Myanmar, China und Laos, ist der Mekong Grenzfluss. Wer von Nordthailand nach Nordlaos will, muss über den Fluss. Von Chiang Kkong rüber nach Huay Xai, in das verschlafene Provinznest, in dem man sich noch nicht wirklich an fremde Gesichter gewöhnt hat: Aus den Garküchen blicken die Einheimischen den ausländischen Ankömmlingen neugierig entgegen, schaulustig unterbrechen die Kinder auf der lehmigen Straße ihr Spiel. Allerorten freundliche Begrüßungsworte: "Sabbai Dii, Sabbai Dii!" Lange Zeit war der Grenzübergang hier im Norden geschlossen - selbst dann noch, als Laos nach fast 15 Jahren hinter Bambusstäben ab Ende der Achtziger wieder die ersten Besucher einreisen ließ. Jetzt tröpfeln die Touristen auch hier langsam ins Land. Selbst in der Regenzeit, in der der Mekong Hochwasser führt.

Ganz sicher sind die paar Touristen zwischen all den Einheimischen am nächsten Morgen nicht, ob sie auf ihrer Fahrt nach Süden wieder eines der Boote besteigen wollen. Die braunen Wassermassen scheinen über Nacht gestiegen, die Boote geschrumpft zu sein. Schlussendlich bleibt den Reisenden aber nichts anderes übrig. Straßen, zumal mühelos befahrbare, gibt es in Laos wenige: Die eigentlichen Verkehrswege sind die Flüsse. "Der Mekong", so wird später ein Englisch sprechender Laote erzählen, "ist unsere Autobahn." Er verbindet den Norden mit dem Süden, ist Verkehrsader, Wasserreservoir, Schwimmbad und Speisekammer. Der Mekong, der im tibetischen Hochland entspringt und sich über 4500 Kilometer weiter in das Südchinesische Meer ergießt, ist gewissermaßen die Lebensader von Laos - eines Landes mit knappen und ständig versiegenden Lebenssäften. Das unwegsame, von der Geschichte geknechtete Gebirgsland hat keinen Zugang zum Meer, kaum (erschlossene) Bodenschätze - und äußerst wenige Einwohner. Laos gehört mit 21 Menschen pro Quadratkilometer zu den am dünnsten besiedelten Ländern Asiens. Und mit einem Bruttosozialprodukt von USD 320 je Einwohner (1998) zudem zu einem der ärmsten. Zahlen, die auf der zwei Tage dauernden Bootsfahrt ins etwa 200 Kilometer entfernt gelegene Luang Prabang, der ehemaligen Königsresidenz, Kontur gewinnen. Das Verkehrsmittel ist diesmal ein mit Menschen, Vieh und Gepäck vollgestopftes, schotenförmiges Busboot, ein so genanntes Slowboat, das im Unterschied zu dem mit ohrenbetäubendem Lärm und 80 Stundenkilometern dahinbrausenden Speedboat für die Strecke zwar eine halbe Ewigkeit braucht, dafür aber einen spektakulären Einblick ins Land gewährt. Markant ragen die Urwaldberge links und rechts des Stromes in den Himmel, wie gemalt liegen vereinzelte Dörfer zu ihren Füßen. Einige Male macht das Boot Halt, und neue schwer bepackte Reisende steigen ein. Die meisten von ihnen sind Bauern, die Brandrodung betreiben, um überleben zu können.

Die in traditionelle Gewänder gekleidete Kleinfamilie, die sich in den Bug des Bootes setzt, war gerade zu Besuch in einem Nachbardorf. "Sie sind Berg-Thais", erklärt der Bootsführer, der im Unterschied zu den Bootsnachbarn einige Brocken Englisch spricht. "Sie pflanzen Trockenreis an und ziehen nach zwei bis drei Jahren wieder weiter." Ein immer größer werdender Teil der fast fünfzig im Agrarland Laos lebenden Ethnien (das Land hat keine dominierende Volksgruppe) widmet sich mittlerweile aber dem Handel: "Wir hier im Norden importieren Textilien, Porzellan und vor allem elektronische Geräte aus China." Verschmitzt zeigt der Bootsführer auf die Kisten und Kartons im hinteren Teil des Bootes. Er verdient sich mit der Schmugglerware einen kleinen Nebenverdienst.

Da die wirtschaftliche Entwicklung nach der Öffnung des Landes bei weitem nicht so gut ausgefallen ist wie erhofft, ist das für einen Großteil der Bevölkerung auch bitter notwendig. In Luang Prabang strecken sich den Reisenden bereits am Bootssteg zahlreiche Hände entgegen. Für einige Kip, der hiesigen von der Inflation arg gebeutelten Währung, hilft man den Touristen samt Gepäck an Land. Der Eindruck der Stadt ist überwältigend: Luang Prabang ist ein Juwel, ein in sich ruhendes Städtchen, in dem das alte Indochina lebendig wird. Vom Lärm anderer südostasiatischer Städte keine Spur, dafür aber satte Farben, schwirrende Luft, säuselnde Trägheit.

48 Wats, buddhistische Tempelanlagen, soll es in der alten Königsstadt geben, französischer Kolonialarchitektur begegnet man ständig. Überall finden sich winzige Läden, einfache Cafés und französische Bäckereien. Seit die Stadt, die auf einer Halbinsel zwischen dem Mekong und dem Nam Khang rund um den "Schönen Berg", dem Phou Si, liegt, von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde und die Regierung das Promotionsjahr "Visit Laos 2000" ausgerufen hat, schießen Restaurants und Tourismuseinrichtungen aus dem Boden. Überflutet von Touristen wird die Stadt deswegen aber noch lange nicht.

Im Schatten des verschlafenen Wat Xieng Thong, der bedeutsamsten Tempelansammlung von Nordlaos, hält ein Grüppchen Reisender Mittagspause. Brütende Hitze. Ein junger, in das leuchtend orange Gewand gekleideter Mönch gesellt sich dazu. "Jeder männliche Lao soll einige Zeit seines Lebens in einem Wat verbringen", erzählt er. Er sei schon seit zwei Jahren bei den Mönchen. "Wie lang er bleibe?" "Für immer." Am nächsten Tag ist er schon kurz nach Sonnenaufgang auf Sammeltour unterwegs. Jeden Morgen füllen die Einheimischen die Schalen der Mönche mit Gaben: mit Klebereis, Obst oder Zigaretten. Gebeten werden sie darum nicht. Es gilt als Ehre, einen Mönch zu beschenken. Einige Touristen überreichen dem Mönch ein auf dem Markt gekauftes laotisch/englisches Wörterbuch. Ihm selbst fehlt das Geld für den Kauf.

Der Abschied von Luang Prabang ist auch der Abschied von wiedererkennbaren (Kolonial-)Bildern: Auf der über zehnstündigen Fahrt im schrottreifen ruckelnden Bus nach Vientiane, der Hauptstadt von Laos, findet man sich in eine Welt wie vor Urzeiten zurückversetzt. Inmitten der betäubend schönen Bergformationen reihen sich nur hin und wieder einige Bambus- und Holzhütten aneinander. Auf der kaum befahrenen Straße, die bis vor kurzem noch als unsicher galt, lassen sich fast nur schwarze Hausschweine und verdreckte Kinder blicken. Ein kurzer Stop in Vang Vieng samt staunendem Blick auf die Felsen und Wasserfälle, dann ist man in Vientiane.

Und damit wieder am Mekong. Auch hier sitzen die Bewohner, "Beer Lao" trinkend, in improvisierten Lokalen am Ufer. Auch hier scheint die Zeit immer noch etwas langsamer zu vergehen. Sozialistische Trümmerbauten, Prachtstraßen mit vielen Schlaglöchern und ein Triumphbogen erzählen allerdings mehr über die Vergangenheit des Landes als über die Gegenwart. Der laotische (Krypto-)Kommunismus setzt mittlerweile voll auf Marktwirtschaft - und eine vorsichtige Öffnung des Landes. Touristen dürfen mit einem Zwei-Wochen-Visum ins Land. Passkontrollen zwischen den einzelnen Regionen des Landes gibt es mittlerweile nicht mehr.

Das Revolutionsmuseum gleich neben dem Lao Plaza Hotel wirkt wie ein Relikt: An den Wänden hängen Maschinenpistolen, viele rote Fahnen und Ölgemälde, die den Revolutionär Kaysone Phomvihane zeigen. Fast niemand hat an diesem schläfrigen Nachmittag den Weg in das staatliche, schon etwas bröckelnde Museum gefunden. Den nostalgischen Blick zurück leisten sich dieser Tage nur mehr Touristen. Beim Ausgang drückt man den Besuchern dann noch ein Flugblatt in die Hände: "Helfen Sie durch Ihre Spende, die Bomben, die während des Vietnamkrieges auf Laos geworfen wurden, zu entschärfen!" Zwei Millionen Bomben hatten die Amerikaner zwischen 1964 und 1973 auf das Land und seine vier Millionen Einwohner geworfen. Das sind 500 Kilogramm Sprengstoff für jeden Einwohner.

Am Abend flanieren Paare am Ufer des Mekong, Motorräder und Tuktuks, die allgegenwärtigen Dreiradtaxis, knattern über die Uferpromenade. In einem der kleinen französischen Restaurants sinniert Paul, der sich erst vor kurzem hier niedergelassen hat, über die Zukunft: "Viele Touristen werden in den nächsten Jahren nach Laos kommen", prophezeit er. Ob das gut oder schlecht ist, darauf will er keine Antwort geben. Zum Essen trinken die meisten Gäste hier jedenfalls lieber ein "Beer Lao" als französischen Rotwein. Und blicken rüber nach Thailand, ans andere Ufer des Mekong, zu den vielen glitzernden Lichtern. Beim Grenzübertritt bleibt den Reisenden diesmal das wackelige Boot erspart. Ein Grenzbus bringt sie nach längeren Kontrollen über die einzige Brücke, die es über den Mekong gibt. Der Standard/rondo/23/11/2001