Wien - Im Gegensatz zur ÖVP-Parteispitze schließt der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll ein Veto gegen Tschechiens EU-Beitritt wegen des Atomkraftwerks Temelín nicht aus. "Sie können sicher sein, die Vetokarte ist bei mir im Ärmel", sagte Pröll am Sonntag in der Fernseh-"Pressestunde". Mittlerweile hat sich eine Front an ÖVP-Landeshauptleuten gebildet, die den Grundsatz ihres Parteiobmannes und Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel - "keine Vetokeule" - konterkariert. Mit dabei sind die Landeshauptmänner von Salzburg, Tirol und Oberösterreich, Wolfgang Schausberger, Wendelin Weingartner und Josef Pühringer, auch wenn sie nicht alle so direkt wie Pröll von einem Veto sprechen. Engergiekapitel Oberösterreich will das Energiekapitel für den EU-Beitrittskandidaten Tschechien erst abschließen, wenn die Sicherheitsfragen rund um das Atomkraftwerk geklärt sind. Tirol wünscht sich, dass das Energiekapitel für den gesamten Erweiterungsprozess gemeinsam mit einer Nachfolgeregelung für den 2003 auslaufenden Transitvertrag verhandelt wird. Schausberger hat für beides Verständnis und lobt in einem Kurier-Gespräch sogar FP-Verkehrsministerin Monika Forstinger, "die den Vetozusammenhang hergestellt" habe. Doch der Bundeskanzler beharrt auf seiner Ablehnung von Ultimaten. Die SPÖ will zwar ebenfalls das Wort "Veto" nicht in den Mund nehmen, wünscht aber, dass das Energiekapitel vorläufig noch nicht abgeschlossen wird, was von der FPÖ als "Schlangenlinien"-Kurs kritisiert wird. Für Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer ist ein Abschluss des Energiekapitels bis Dezember "undenkbar". Sie kritisiert, dass es keine Vier-Parteien-Einigung zu diesem Thema gegeben hat und hofft auf zahlreiche Unterschriften des - für Mitte Jänner angesetzten - Volksbegehrens. "Volksbenutzung" Dieses sei eine "Volksbenutzung", meint wiederum Erwin Pröll. Die FPÖ wolle damit nur den drei "fußmaroden Landesorganisationen", die das Volksbegehren organisieren, weiterhelfen. Sollte die Frage aber wirklich zugespitzt werden, dann wäre Pröll ein Verzicht auf Temelín letztlich mehr wert als die EU-Erweiterung. Er habe aber die Hoffnung, dass es nicht auf diese Spitze getrieben werde. "Die Erweiterung muss kommen", betonte der Landeshauptmann. Nach einer Lösung in der Temelín-Frage müsse man in den Beziehungen mit Tschechien wieder zu neuen Ufern aufbrechen. Im Gegensatz zu den Freiheitlichen wolle er dem Nachbarn eine Chance einräumen. Tschechien habe die Möglichkeit, internationale Sicherheitsstandards für Temelín zu erreichen und mittelfristig ein Ausstiegsszenario aus der Atomenergie zu entwickeln. Erst wenn das nicht eintrete, gebe es immer noch den "letzten Trumpf", sprich: ein Veto. Die Chefin der NÖ-Grünen Brigid Weinzinger geißelte wenig später die "peinliche Anbiederung Prölls an die FPÖ". Die ÖVP sei keine Europapartei mehr. (mon, DER STANDARD Print-Ausgabe 19.11.2001)