Standard:Ist die rot-grüne Koalition nach der Bundestagsentscheidung gesichert? Niedermayer: Auf keinen Fall. Ich sehe nicht, dass die vier Grün-Abgeordneten und andere Zweifler inhaltlich überzeugt wurden. Ich glaube, dass man sich bei den Grünen geeinigt hat, dass es der Fraktion nicht zusteht, über die Koalition zu entscheiden. Um nicht erpressbar zu erscheinen, wurde so kalkuliert, dass es nur vier und nicht sechs Nein-Stimmen sind, um die Koalition nicht scheitern zu lassen. Standard: Wurde damit die Entscheidung über den Fortbestand der Koalition auf den Parteitag kommende Woche vertagt und nur Zeit gewonnen? Niedermayer: Die Kuh ist noch lange nicht vom Eis, da grüne Parteitage eine eigene Dynamik entwickeln können. Der Knackpunkt für Rot- Grün ist der Parteitag. Es kommt es auf die weitere Entwicklung in Afghanistan an. Wenn der Siegeszug der Nordallianz plötzlich gestoppt wird oder die Taliban sich hartnäckig wehren und der Krieg länger dauert, dann wird es spannend. Außerdem wollen die Abgeordneten von der Basis wieder für die Bundestagswahl aufgestellt werden. Jeder muss sich jetzt rechtfertigen. Da gibt es noch Unwägbarkeiten, die auftauchen können. Standard: Haben sich die Grünen selbst geschwächt? Niedermayer: Sie haben sich sehenden Auges in eine ausweglose Situation hineinmanövriert. Was sie auch machen, sie machen es falsch: Sie werden einen Teil ihrer traditionellen Wähler und Mitglieder verlieren, die meinen, jetzt ist die letzte pazifistische Bastion bei den Grünen gefallen. Wenn sie die Koalition aufkündigen, wendet sich ein anderer Teil ab. Es wird so oder so zu einer Austrittswelle kommen. Da die Grünen nur knapp über der Fünfprozenthürde liegen, kann auch die Abwendung eines kleinen Teils existenzbedrohend sein. Standard: Wenn der Grünen- Parteitag Nein zum Militäreinsatz sagt: Ist das automatisch das Ende von Rot-Grün? Niedermayer: Wenn der Grünen-Parteitag Nein sagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Koalition noch gehalten werden kann. Denn dann spricht die Basis der Fraktion das Misstrauen aus. Dann gibt es keine Geschäftsgrundlage mehr. Standard: Was würde ein Nein der Basis für Joschka Fischer bedeuten? Niedermayer: Wenn sich der Parteitag gegen ihn stellt, dann müsste er selbst konsequent handeln und die Grünen verlassen. Da er von dem, was er tut, überzeugt scheint, wäre dies der logische Schritt. Standard: Würde Fischer dann zur SPD wechseln? Niedermayer: Das wäre sinnvoll, wenn er weiterhin Politik machen will. Dass er sich aufs Altenteil zurückzieht, kann ich mir nicht vorstellen. Standard: Will Schröder Rot- Grün noch nach der Wahl? Niedermayer: Er hat die Tür nicht zugeschlagen und wird das pragmatisch nach der Wahl entscheiden: Grüne oder FDP. (afs/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18. November 2001)