Im Prinzip haben die Hardliner in der österreichischen Politik schon Recht: Vetodrohungen einzelner Mitgliedsstaaten der Union kommen in den EU-Entscheidungsgremien immer wieder zum Einsatz. Vorzugsweise dann, wenn es bei einstimmigen Beschlüssen um sehr heikle Politikfelder, wichtige nationale Interessen und/oder um viel Geld geht.

Vor allem die Spanier haben diese Methode der diplomatischen Axt seit ihrem EU-Beitritt 1986 zu hoher Kunst entwickelt. Als mittelgroßer Staat, der dabei oft nur die Vorhut für die Interessen des "Klubs" der ärmeren südlichen Länder spielte, waren sie dabei oft erfolgreich.

Das kleine Österreich, das 1995 mit einer Regierung der großen Koalition in die Gemeinschaft eingetreten ist, kann das von sich nicht behaupten. Die Gründe dafür sind relativ einfach.

Um in einer an Mitgliedern und politischen Zuständigkeiten ständig wachsenden Union seine egoistischen Standpunkte durchzusetzen, muss man entweder genug eigenes politisches Gewicht mitbringen und eine "Großmacht" sein wie Frankreich oder Deutschland. Oder es muss einem gelingen, eine Gruppe von Partnern um sich zu scharen, die einem bei der Durchsetzung der Interessen hilft.

Genau dabei aber tun sich die österreichischen Vertreter in den EU-Ministerräten wie auch im Parlament schwer - seit der Hereinnahme der in Europa nach wie vor "geschnittenen" FPÖ in die Regierung umso mehr.

Vor diesem Hintergrund muss auch die jüngste Entwicklung im Reigen der österreichischen Aufstände "gegen die da oben in Brüssel" gesehen werden. Die vom Tiroler Landtag einhellig getragene und von der FP-Verkehrsministerin ebenfalls indirekt ausgesprochene Vetodrohung gegen die (gesamte!) EU-Erweiterung, solange es keine Nachfolgeregelung für den Transitvertrag gibt, ist nicht viel mehr als ein politischer Offenbarungseid.

Zum einen hatte Österreich seit dem EU-Beitritt 1995 viel Zeit, in Brüssel für seine Alpenpässe ein Verkehrskonzept in der Linie des 2003 auslaufenden Transitvertrages vorzulegen, blieb dies aber schuldig. Es wurde auf nationaler Ebene auch sehr wenig getan, um in alternative Infrastrukturen zu investieren.

Auf der anderen Seite ist es der Bundesregierung bisher nicht gelungen, im Transitstreit auch nur einen verlässlichen Partner innerhalb der Union auf die Seite Österreichs zu ziehen. Insofern ist die Drohung mit einem Verkehrsveto bei den laufenden Beitrittsverhandlungen ziemlich leer: Sie hat zu wenig Substanz und ist zu vordergründig.

Nimmt man die dramatische Verhärtung (fast) der gesamten politischen Klasse in Österreich rund Temelín noch dazu, dann hat dieses jüngste Drohen auch beim Verkehrsthema etwas geradezu Gefährliches an sich: Der Regierung scheinen vierzehn ihr gegenüber kritische EU-Partner nicht genug zu sein. Sie will es sich offensichtlich auch noch mit zwölf weiteren Ländern in Europa - den beitrittswilligen Staaten, von denen vier direkte Nachbarn sind - auf Dauer verscherzen.

Das kann dem Land langfristig nicht gut tun, und es wäre umso dringlicher, wenn der Bundeskanzler in Bezug auf die EU-Orientierung Österreichs in seiner Regierung wie bei seinen Parteifreunden in Tirol für Ordnung sorgt und dem Land geistige Führung gibt. Sonst droht im Westen ein zweites "Temelín", sprich, eine Situation totaler Verhärtung mit der Folge, dass sachgerechte Lösungen, ein Konsens, freundschaftlicher Umgang zwischen Ländern immer schwerer möglich werden.

Es ist kein Zufall, wenn mit Ursula Stenzel und Johannes Voggenhuber zwei österreichische EU-Abgeordnete von völlig unterschiedlicher parteipolitischer Herkunft mit eindringlichen Warnungen vor einer Isolierung auf den Plan treten. Als außenpolitisch sehr profilierte und exponierte Vertreter bekommen sie sehr unmittelbar mit, was man in Europa über Österreich denkt. Ihre Warnungen zu ignorieren wäre fahrlässig. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 16.11.2001)