Nachschau im Zeitungsarchiv. "Laufen die USA in ein neues Vietnam?" - so oder so ähnlich die Schlagzeilen in den österreichischen Zeitungen zu Zeiten des Golfkrieges 1991. Unüberwindliche Wüstenwälle, an denen sich die Amis verbluten werden! Die Realität? Ein Monat Bombardement, dann vier Tage Bodenkrieg, und es war vorbei.

Oder Bosnien 1995: Nur ja nicht eingreifen, um die Massaker zu beenden! Es droht ein "jahrelanger Partisanenkrieg im Karst" (der Philosoph Rudolf Burger). Die Realität: Fünf Tage Bomben der US-Air Force auf die bosnischen Serben, und die vierjährige Belagerung von Sarajewo war vorüber.

Oder der Kosovo 1999: Finger weg, das kann nicht gut gehen! Die Realität: Einen Monat Bombardierung durch die Nato (und nach Drohung mit dem Einsatz von Bodentruppen), und Slobodan Milosevic gab auf. Heute steht er vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Und jetzt - "Falle Afghanistan: Amerikas heilloser Bombenkrieg und das Gespenst von Vietnam" titelt der Spiegel und füllt eine ganze Coverstory mit düsteren Prophezeiungen, nein, Tatsachenbehauptungen: "Debakel am Hindukusch: Die Supermacht Amerika droht sich in Afghanistan zu verstricken wie einst die Sowjetunion. Washington forciert die Bombenkampagne, doch die Gotteskrieger halten stand." Die Realität zwei Wochen später: Die Taliban hielten den amerikanischen Bombardements auf ihre Stellungen eben nicht stand. Schon wieder kein Vietnam.

Das Irritierende an diesen Fehlbeurteilungen über ein Jahrzehnt hinweg ist der Eindruck: Da wünschen sich viele klammheimlich, die Amerikaner mögen tatsächlich ein neues Vietnam erleiden.

Keine Diskussionsveranstaltung, ob unter links-alternativen Studenten oder ob bei der erzkonservativen "Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik", wo nicht Tiraden über die "Arroganz der Amerikaner" abgelassen werden.

Keine Versammlung von Dichtern und Intellektuellen, in der nicht auf die ungeheure "Demütigung" und "Wut" der entrechteten islamischen Massen hingewiesen wird, mit der sich der Massenmord vom 11. September entschuldigen oder doch erklären lasse. Antiamerikanische Ressentiments und Drittweltmythologisierung statt klarsichtiger und unvoreingenommener Analyse.

Eine klarsichtige Analyse muss sich die Frage stellen, wie weit ein "Dialog" gehen kann und ob man dabei angesichts von sehr verschiedenen Wertsystemen und Begriffsebenen nicht sehr bald an eine Grenze stößt.

Sie muss auch die Frage stellen dürfen, ob nun wirklich die Amerikaner oder "der Westen" am Zustand der islamischen Gesellschaften schuld sind, worin eigentlich konkret die "Ausbeutung durch den Westen" besteht und ob nicht vielmehr der Mangel an einer "offenen Gesellschaft" das Problem zurückgebliebener Gesellschaften ist.

Ganz abgesehen davon, dass mit dem radikalen Islamismus und seinen terroristischen Jüngern kein Dialog möglich ist. Es muss eine informierte Diskussion darüber geführt werden können, ob ein Bin Laden aus der Unterdrückung der islamischen Massen zu erklären ist oder nicht eher aus totalitären Wahnideen von einem panislamischen Reich ("Kalifat").

Die Debatte hierzulande, aber auch etwa in Deutschland, hantiert mit zu vielen Pseudogewissheiten wie "Das ist ein neues Vietnam" oder eben "Die wahre Ursache des Terrorismus ist die Ausbeutung durch den Westen". Wahrscheinlich ist ja auch etwas dran, aber bei weitem nicht so viel, wie uns die USA-Gegner und Drittweltromantiker glauben machen wollen.
hans.rauscher@derStandard.at (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 16.11.2001)