Na?

Wie haben wir Amerikaner das wieder einmal gemacht? Eine Stadt nach der anderen sacken wir ein: Kabul, Jalalabad. Und jetzt ist Kandahar an der Reihe. Das sieht ja beinahe schon nach Endsieg aus.

Schließlich hat unsere vor allem in militärischer Hinsicht nicht sonderlich rühmliche Geschichte der jüngeren Zeit einen solchen Aufputz dringend nötig. Nach zwei verlorenen Weltkriegen würde uns so ein Endsiegerl schon wieder einmal zustehen. Und noch dazu, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Nicht einmal den vom deutschen Außenminister eingemahnten Flugzeugträger Kaiser Franz Joseph mussten wir in den Persischen Golf entsenden.

Die Zeiten ändern sich eben. Nicht nur das - die Zeit scheint wieder für uns zu arbeiten: Vor 63 Jahren hätte die Feststellung, dass wir Deutsche sind, fürs Kriegführen wohl nicht ausgereicht. Da mussten wir beim Zurückschießen schon fleißig mitknallen.

Und diesmal? Da sagten nach dem 11. September erst einmal nicht wenige und nicht gerade die Dümmsten, wir alle seien nun Amerikaner. Wer aber damals diesem transatlantischen Anschluss gegenüber noch seine Bedenken hatte, der darf sie jetzt getrost über Bord (vielleicht eines Flugzeugträgers) werfen und noch geschwind in die siegreichen Kolonnen aller Austroamerikaner der ersten Stunde huschen.

Schließlich sind wir ja im Vollzug blitzartiger Frontwechsel nicht ganz unerfahren und wissen seit 1945 auch sehr wohl, wie lohnend ein solcher mitunter sein kann. Was meine Person anlangt, bitte ich allerdings um Nachsicht, wenn ich allen tagespolitischen Verlockungen widerstehe und es letztlich doch vorziehe, Österreicher zu bleiben - so überflüssig diese Nationalität schon so manchem in vieler Hinsicht insgeheim erscheinen mag.

Vielleicht trifft das Wort vorziehen nicht die ganze Wahrheit. Eigentlich könnte ich gar nicht anders. Die Ursache dafür liegt zwar nicht auf der Hand, vielmehr steckt sie in einem meiner arthrotischen Halswirbel, der schon den leisesten Versuch meinerseits, mich als Wendehals zu profilieren, auf äußerst dolorose Weise scheitern ließe. Pathetisch gesagt, Rückgrat macht halt Schmerzen.

Doch der wahre Grund für meine Halsstarrigkeit liegt auch nicht in meinem bösen Wirbel, er findet sich in einem Buch. Sein Autor, kein dummer Mann, hieß Lao-Tse und lebte vor 2400 Jahren in China. Jeder kennt den Titel seines Buches Tao-Te-King, aber zu wenige lesen es.

Sinngemäß steht darin folgender Rat an einen Herrscher: Wenn Du Frieden in Deinem Reich willst, dann sorge für Frieden in Deiner Provinz. Wenn Du Frieden in Deiner Provinz willst, dann sorge für Frieden in Deiner Stadt. Wenn Du Frieden in Deiner Stadt willst, dann sorge für Frieden in Deinem Haus. Wenn Du Frieden in Deinem Haus willst, dann sorge für Frieden in Deiner Familie. Und wenn Du Frieden in Deiner Familie willst, dann sorge für Frieden in Dir selbst.

Leider lässt sich das Wort Frieden mühelos durch Krieg ersetzen. Und der Krieg, der jetzt tobt, begann nicht am 11. September und nicht im Oktober. Lange vorher schon ist unser Alltag zum Kleinkrieg geworden. Ökonomie, Leistung und Rentabilität steht auf den Flaggen der Erfolgskämpfer. Angst, Verunsicherung und Mobbing sind die Waffen der Wahl. In uns herrscht Krieg. Und er breitet sich aus nach Muster des Lao-Tse.

Und allen, die tatsächlich meinen, der Friede sei nichts anderes als das Ergebnis eines durch Waffengewalt gewonnenen Krieges, noch ein Wort des chinesischen Weisen ins Stammbuch: "Wo sich die Waffen gegeneinander erheben, siegt stets der, der zurückweicht."

(DER STANDARD, Printausgabe, 15.11.2001)