Elfriede Jelineks "Die Klavierspielerin", verfilmt von Michael Haneke, mehrfach prämiert in Cannes, bejubelt auch in der vernachlässigten heimischen Filmbranche - ein Missverständnis? Liest man dazu die Kommentare der Dichterin, ahnt man schmerzlich, was aus diesem Roman für das Kino hätte gewonnen werden können. Wien - Als Einverständniserklärung sind zuletzt Elfriede Jelineks Stellungnahmen zu Michael Hanekes Verfilmung ihres Romans Die Klavierspielerin gelesen worden. Man könnte es aber auch so deuten, dass sich die Schriftstellerin hier sehr klug und doppeldeutig aus einer Affäre zieht, die über Jahre hinweg und trotz der Erfolgsgeschichte des autobiografisch gefärbten Buchs eine zutiefst persönliche war, jetzt aber gleichsam zur Staatsaffäre geworden ist: Die Klavierspielerin als Film ist Allgemeingut, dessen Preise bei den Filmfestspielen in Cannes derzeit auch ins Gefecht geführt werden, um die Ignoranz der Kulturpolitik gegenüber dem heimischen Kino in ihrer ganzen Lächerlichkeit transparent zu machen. Was aber hat dies noch mit Jelinek zu tun? In einem Text für ein kürzlich bei Sonderzahl erschienenes Begleitbuch zum Film vermerkt sie: "Michael Haneke (. . .) hat etwas, das ich geschrieben hatte, zur Grundlage von Berechnungen und Planungen genommen, und diese präzisen Planungen (es ist ja fast unglaublich, was man alles berechnen und beachten muss, wenn man einen Film dreht! Ich würde schon an den ersten fünf Sekunden scheitern, denn ich verlange von einer Handlung, von Ereignissen, dass sie mich an der Hand nehmen und voranziehen, dass ich sozusagen nicht weiß, wo ich landen werde, und das verlange ich, wie gesagt, nicht etwa, dass ich es nur zuließe!) zielen auf eine Endlosigkeit, eine Weite ab, in der alles möglich ist und nichts. Man wirft Lebenstrümmer hinein, und sie ordnen sich in einem hübschen Maelstrom, der in eine bestimmte Richtung fließt, oder sie werden aus rasender Drehung heraus wieder ausgespuckt, so wie Menschen, die nicht leben können, vom Leben wieder ausgespuckt werden bzw. sich selber wegschmeißen. Abfälle. Erika Kohuts." Spielball des Lebens Erika Kohut, die Klavierspielerin und -lehrerin - das war, zumindest bei der Buchveröffentlichung, auch Jelinek selbst, die sich Anfang der 80er heftig an ihrem bürgerlichen Umfeld und den eigenen Befangenheiten stieß, heute aber schreibt: "Auch die Kunst hat mich nicht retten können, Spielball meines eigenen Lebens geworden zu sein." Jetzt, auf der Leinwand, ist Kohut Isabelle Huppert: Die Glanzleistung eines Stars, der nach allen Regeln der Kunst gerade in der Darstellung von Verletzung und Selbstverletzung triumphiert. Eingebettet und getragen von einer Verfilmung, die der Regisseur "realistisch" anlegt - oder zumindest als das, was man im europäischen Schauspielerkino gerne als "Realismus" anbietet: kalkulierte Entblößung, die noch am Tiefpunkt über Ausstrahlung verfügt. Und wenn dann trotzdem Gelächter aufkommt, spricht Haneke von einer "Parodie eines Melodrams". Es ringt also die Titelheldin in einer Nebenhandlung mit einer zur Karikatur einer Schnapsdrossel heruntergekommenen Mutter (Annie Girardot), während doch gerade der familiäre Konflikt bei Jelinek zentral ist. Stattdessen konzentriert sich Haneke auf eine Liebesgeschichte zwischen Kohut und ihrem Schüler Klemmer (Benoît Magimel), die man vielleicht wirklich als Parodie sehen sollte: Ernst gemeint ist aber in jedem Fall die Starpräsenz der beiden, die diesen Konflikt "attraktiv" machen soll. Man könnte sagen: Haneke tappt in eine alte Falle aufwendiger Literaturverfilmungen. Um ein, zwei verwandte Beispiele rund um Frauen, denen mit konventionellen Schönheitsidealen nicht beizukommen ist, zu zitieren: André Téchiné meinte auch einmal, die Schwestern Bronte mit französischen Superstars besetzen zu müssen. Oder: Man erinnere sich an Huppert in Claude Chabrols Adaption der Madame Bovary. Liegt es nur am männlichen Blick, oder spricht die Logik aufwendiger und daher der Rentabilität verpflichteter Filmproduktionen, wenn etwa Martin Scorsese in Age of Innocence Michelle Pfeiffer als Madame Orlowska besetzt? Elfriede Jelinek, die seit jeher nicht rentabel gedacht und geschrieben hat, stellt Regisseure aber vor noch größere Probleme. Auch in der Klavierspielerin (und seither in noch viel größerem Ausmaß) hat sie sich und ihre Texte ja jedem Trost, den kompakte Episierung und Dramatik bieten mögen, entzogen. "Ich verlange, dass ich nicht weiß, wo ich landen werde": Dem entspricht Jelineks Affinität zu Regisseuren wie Einar Schleef oder Ulrike Ottinger oder Rainer Werner Fassbinder. Was Letzterer aus der Klavierspielerin gemacht hätte, kann man erahnen, wenn man seine Effi Briest sieht. Wettbewerbskino Das ergäbe nun vielleicht eher einen spröderen Film für eine Festivalnische wie das autorenzentrierte Forum des Neuen Films in Berlin, wäre also inkompatibel mit dem Wettbewerb von Cannes. Aber gewiss hat es eine Art von Berechtigung, wenn uns Haneke mit seiner Klavierspielerin so und nicht anders beweisen kann, dass österreichisches Kino Goldes wert ist (auch wenn auf der Leinwand halb Wien französisch sprach, für uns also wieder synchronisiert werden muss). Aber was Elfriede Jelinek dazu sagt und tut, ist schon bedenkenswert. Sie macht sich klein und meint in Interviews: "Vielleicht ist das auf der Leinwand die richtige Wahrheit." Sie erhält sich und ihre Texte die Anfechtbarkeit. Sie lässt für sich den Trost nicht zu, der sich für die Filmbranche mit einer Art von Hermann-Maier-Effekt eingestellt hat. Jelinek schreibt: "Film" - und dabei hat sie wohl diesen ganz speziellen Film im Hinterkopf - "suggeriert, dass alles, was ist, berechenbar sei. Aber jedes Leben, auch das eigene, vergeht, während man sich noch diesen oder jenen Film auf der Leinwand anschaut. (. . .) Erika Kohut im Film weiß das, aber sie kann nichts dagegen tun. Und während die Kader im Leben um die Wette schuften, laufen die Kader im Film so einfach dahin, sie machen Sport. Ihr Sport ist das Laufen. Oder: Indem das Leben auf der Leinwand vorher genau berechnet wurde, wird suggeriert, dass auch das Leben: machbar sei. Man kann es ja versuchen. Weit wird man damit nicht kommen." Seit Freitag im Kino! (DER STANDARD, Printausgabe 14.11.2001)