Der Streit um Temelín betrifft in erster Linie nur Tschechien und Österreich, meint Romano Prodi. Mit dem Präsidenten der EU-Kommission, der sich immer häufiger gegen den Vorwurf der Führungsschwäche wehren muss, sprach Jörg Wojahn am Rand des Kongresses "1000 Städte für Europa" in Innsbruck. DER STANDARD: Bundeskanzler Schüssel schlug bei seinem jüngsten Besuch in Brüssel vor, nukleare Sicherheitsstandards zum Gegenstand der Beitrittsverträge mit den EU-Kandidaten zu machen, insbesondere mit Tschechien. Ist das in Ihrem Sinn? Prodi: Ich denke, eine europaweite Disziplin bei der nuklearen Sicherheit ist jetzt leichter zu erreichen als früher. Mit Blick auf Temelín glaube ich, dass der Melker Prozess, der von der Kommission initiiert wurde, bereits gute Ergebnisse gezeitigt hat. Es ist aber primär ein bilaterales Problem zwischen Österreich und Tschechien - auch wenn ich die beiden Länder dazu dränge, so bald wie möglich eine Lösung zu finden. Doch wir können nicht ein bilaterales zu einem multilateralen Problem machen. DER STANDARD: Würden nicht aber Länder wie Frankreich ohnehin gegen eine europaweite Regelung der nuklearen Sicherheit opponieren? Prodi: Ich wäre ein Lügner, wenn ich Ihnen eine definitive Antwort gäbe. Ich glaube aber, dass es jetzt ein Interesse an einer EU-weiten Regelung gibt. Denken Sie dabei an die besonders intensiven Bemühungen des größten Landes in Europa, das Atomkraftwerke besitzt, zu zeigen, dass die Sicherheitsstandards so hoch sind. Aber wir sind natürlich noch in der Phase der Absicht. DER STANDARD: Sie haben Bundeskanzler Schüssel zugesagt, eine Lösung für die Nachfolge des Alpentransitvertrags voranzutreiben. Was wird die Kommission denn tun? Prodi: Wir werden eine Nachfolgeregelung für das Ökopunktesystem finden. Dann wird es natürlich für die Mitgliedstaaten viel leichter sein, eine Verlängerung zu akzeptieren, wenn die Lösung auf einem System beruht, das für ganz Europa geeignet ist und das auf alle europäischen Staaten abgestimmt ist. Das Ökopunktesystem hat einige Schwächen, aber es hat jedenfalls Vorteile für die Schadstoffreduktion gehabt. DER STANDARD: Ein Problem scheint im Moment die Gemeinsamkeit bei der EU-Außenpolitik zu sein. Sie hatten das deutsch- französisch-britische Treffen unmittelbar vor dem EU-Gipfel von Gent scharf kritisiert. Zum zweiten Treffen vergangenen Sonntag in London haben Sie aber nichts gesagt. Warum? Prodi: Ich hatte wegen Gent protestiert, weil ich mich aus gutem Grund geärgert habe: Das Treffen fand im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel statt und hat auch die Aufmerksamkeit der Medien von ihm abgelenkt. Gegen das Treffen in London habe ich nicht protestiert. Denn wenn drei, vier, fünf Staaten miteinander sprechen wollen, können sie tun. Aber wir müssen ganz klar sagen: London war kein Treffen im Rahmen der EU. DER STANDARD: Aber in London waren am Ende auch der amtierende EU-Ratspräsident Guy Verhofstadt und der Außenpolitikbeauftrage Javier Solana dabei. Das machte doch einen recht europäischen Eindruck. Prodi: Da sind wir an einer Grenzlinie. Aber ich sage Ihnen, Tony Blair hat mich angerufen. Und ich sagte: "Ich nehme an, Sie sind froh, dass ich Sie nicht angerufen habe." Darauf meinte Blair: "Sie waren wahrscheinlich der Einzige." Sehen Sie, ich denke, auch in diesem Fall muss man die Grundsätze beachten, und für uns sind sie klar: Die Rolle der Kommission ist es, die so genannten kleinen und großen Staaten gleich zu schützen. Das heißt: Es gibt keine kleinen und großen Staaten. Es gibt nur Staaten. Wenn also ein Dialog zwischen einer Gruppe von Ländern stattfindet, ist das in Ordnung. Ist dies aber eine versteckte verstärkte Zusammenarbeit, dann nicht. DER STANDARD: Als Präsident der Kommission wird Ihnen in letzter Zeit oft mangelnde Führungskraft vorgeworfen. Wie reagieren Sie darauf? Prodi: Die Kommission besteht aus starken Politikern und macht gute Arbeit. Sie können das auch so interpretieren, dass der Präsident schwach ist. Vielleicht. Aber haben Sie je ein Fußballteam gesehen, das den Weltcup mit starken Spielern gewonnen hat, aber einen schlechten Trainer hat? Ich nicht. Sehen Sie, zwei von den fünf Jahren unserer Amtszeit sind vorüber und wir haben bereits viel erreicht. Am Ende unserer Amtszeit werden Sie die Ergebnisse dessen sehen, was die Kommission geleistet hat. Natürlich sind wir keine sexy Kommission, denn die Kommissare bekriegen und beleidigen sich nicht gegenseitig. Wenn es heißt, der österreichische Kommissar sei stark, macht mich das stolz. Ich bin nicht neidisch. Denn ich habe gerade darum gekämpft, junge und politisch starke Kommissare zu haben. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 10.11.2001)