Es gibt kaum etwas Konservativeres als Lounge-Music. Diese Behauptung klingt wenig erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Lounge-Music, die in den 60er-Jahren entstanden ist und Easy Listening genannt wurde, bereits damals reine Konsens-Musik war. Entstanden aus einer in die Breite gehenden Popmusik, umarmte Lounge Stile wie Jazz, Soul und beliebte südamerikanische Rhythmen, nahm ihnen alle eruptiven Spitzen und lieferte ein harmloses, auf eine weiße Hörerschaft ausgerichtetes Endprodukt ab. Das musste so sein, denn Lounge, der Name verrät es bereits, galt als eine an bestimmte Örtlichkeiten gebundene Musik, die eines auf gar keinen Fall durfte: zu sehr auffallen. Ruhige Hotellounges oder die Cocktailbar im Spielcasino wurden damit akustisch dekoriert - also überall dort, wo es nicht weiter auffallen würde, wenn ein gewisser Bond, James Bond, gerade seinen geschüttelten Martini schlürfte. Trotz aller Ausdünnung evozierte Lounge-Music Gefühle, die an exotische Weltgegenden und vermeintlichen Luxus denken ließen. An alles, was zu Hause, in der zweiten Dekade nach dem großen Krieg, als schwer bis unerreichbar galt. Darum war Lounge beliebt, aber immer ein Substitut. Ein akustischer Placebo. Etwas, das Wirkung ohne Substanz erreichte. Als der Begriff Lounge in der Popmusik vor einigen Jahren neu definiert wieder auftauchte, fand er sich im Gegensatz zu seinen Ursprüngen in fester Beziehung mit - meist verbotenen - Substanzen. Die gerade boomende Rave-Szene befand es nämlich für notwendig, den mittels Glücksbringern aufgeputschten Körper nach vielen durchtanzten Stunden wieder dorthin rückzuführen, wo der Normalpuls hauptgemeldet ist. Also schuf man Chill-out-Lounges, in denen man zu beruhigenden Klängen versuchte, die Geister, die man rief, wieder loszuwerden. Einrichtungen, die nicht selten Richtung Easy Listening abdrifteten: James "Das Letzte" Last und Konsorten galten plötzlich als cool. Das muss man sich einmal vorstellen: der König der Erbschleicher-Radioprogramm-Musik, also Omis Liebling, cool! Entsprechend hirntot erscheint zeitgenössischer Lounge, der formal nur bereits sattsam bekannte Allgemeinplätze besucht - meist zahnlosen TripHop - und dessen größte "Errungenschaft" der letzten Jahre das Einbeziehen von lateinamerikanischen Rhythmen war. Bumsti. Nun erschien eine "Lounge Legends" genannte CD-Reihe. Dass darin der erwähnte James, Last, nicht Bond, vertreten ist, passt ebenso ins Bild wie eine CD, die sich Roberto Delgado widmet. Delgado, bürgerlich Horst Wende und aus dem wenig exotischen deutschen Sachsen-Anhalt stammend. Dieser Kollege von James Last oder Bert Kaempfert steht stellvertretend für die Künstlichkeit von Lounge: Vom Namen bis zu den bekannten Schlagermotiven, denen er mit südamerikanischen Tschigi-Tschigi-Rhythmen fernländisches Flair verpasste, ist hier alles echt falsch. Treffendere Legends sind John Barry oder Burt Bacharach, die mit ihren Melodien und Gaststimmen (von Scott Walker bis Brenda Lee) Fernweh mit sanftem Weltschmerz paarten und damit - Barry mit seinen berühmt gewordenen Filmmusiken und Bacharach als genialer Pop-Komponist - ohnehin als Klassiker gelten. Ob deren Werke jedoch als "easy" einzustufen sind, bleibt dahingestellt. Bedenklich wird die Reihe mit der Auswahl von Dusty Springfield. Einfach weil die Britin für hermetischen Lounge viel zu große Gefühle erzeugt: mit immergrünen Songs wie The Look Of Love oder Just A Little Lovin' . Gänzlich am Thema vorbei schrammen die Verantwortlichen dieser Serie mit der Wahl von Lee Hazlewood. Der Zynismus des großen Underdogs amerikanisch schattseitiger (Country-)Musik und sein verdreht verdorbener Humor müssen als mit Lounge gänzlich inkompatibel bezeichnet werden. Oder möchten Sie an einer Hotelbar lieber von einem liebeskranken Alkoholiker mit Gewaltfantasien als von James Bond angesprochen werden So gesehen, bleibt sich Lounge-Music als missverständliche Gratwanderung treu und setzt diese im neuen Jahrtausend mit alten Mitteln fort. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 11. 2001)