Für Erinnerungsbilder gibt es im Erzählkino das Mittel der Rückblende. Merkbar aus der erzählerischen Gegenwart gehoben, verfolgen sie zumeist die Absicht, den Zuschauer - bei aller Ambivalenz, die ihnen eigen ist - über eine Vergangenheit aufzuklären, die dann die aktuelle Handlung in neues Licht taucht.
Christopher Nolans Thriller Memento besteht im Grunde (fast) nur aus Rückblenden. Es fehlt jedoch die Gegenwart, auf die sie sich beziehen könnten. Vielmehr ist alles bereits geschehen: Das erste Bild, ein Polaroid-Foto, auf dem ein offensichtlich ermordeter Mann zu sehen ist, entwickelt sich langsam zurück - ins unbestimmte Grau des Vergessens. Es legt die Spur für das, was passiert sein wird.
Im Rückwärtsgang, wobei das Ende einer Szene erst den Anfang der vorhergehenden "erklärt", wird ein Netz aus Indizien entflechtet, in dessen Mittelpunkt Leonard Shelby (Guy Pearce) steht, der nur einen einzigen Auftrag kennt: den Mord an seiner Frau zu rächen. Weil er jedoch seit dem traumatischen Erlebnis an einer Störung seines Kurzzeitgedächtnisses laboriert, alle Erkenntnisse also sofort wieder vergisst, ist er auf Erinnerungshilfen angewiesen: Er tätowiert den Ermittlungsstand auf seinen Körper oder fertigt Sofortbilder an, die er mit Notizen versieht. Täter und Detektiv, investigatives und handelndes Subjekt fallen somit in einer Figur zusammen.
Es bleibt jedoch allein dem Zuschauer überlassen, aus dem Gesehenen seine Erkenntnisse zu gewinnen, und aus dieser Suspense des permanenten Aufschubs bezieht Memento seinen Reiz. Denn Shelby ist zu vergesslich, um als Orientierungspunkt in dem Rätsel zu dienen, auf den anderen Figuren - dem hilfsbereiten Teddy (Joe Pantoliano) und der Kellnerin Natalie (Carrie-Anne Moss) - liegt schlicht der Schatten des Zweifels.
Zwischen dem rückwärts verlaufenden Plot wird in "konventionellen" Rückblenden noch eine Art Vorgeschichte geschrieben. Shelby, einst Ermittler einer Versicherungsfirma, berichtet in Telefongesprächen von einem ähnlich gearteten Krankheitsfall, einem Angestellten, der sein Gedächtnis verloren hat und, von seiner zuckerkranken Frau auf die Probe gestellt, dieser eine tödliche Dosis Insulin verabreichte.
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass sich auch diese - etwas vordergründig in Schwarzweiß inszenierte - Ebene als weiteres Puzzlestück erweisen wird. Ihrem Wahrheitsgehalt gegenüber ist jedoch Skepsis angebracht, denn ob Bild oder Schrift, Memento versteht sie als Zeichen in einem hermeneutischen Zirkel, den er aufzulösen nur vorgibt.