Wien - Während anderswo, nicht nur zu Terrors Zeiten, die mit Medienbrei bis obenhin gefüllten Menschenblutwürste ihre Passionsspiele aufführen, sich auf ihren Theatern weich kochen lassen, bis sie schließlich vor Wehleidigkeit rot anschwellen, um mit einem Platzer aufzufahren in den Schnürboden-Himmel ("Ach!") - während alles das ringsum geschieht, reißt man im Burg-Kasino den Kochtopf vom Herdfeuer. Noch einmal davongekommen, raunt es aus dem Dramaturgiebüro. Eberhard Petschinkas sprach-oratorisches Silbenschrottspiel der blutige ernst müht sich an keinen leibhaftigen Menschen ab. Es hält sich nicht einmal an deren Hochglanz-Brüdern schadlos, den Thesen oder Argumenten. Es reiht wie eine aus Abfällen gespeiste Wortsägefabrik Verbstämme klotzig aneinander, putzt sie mit Vorsilben zur politisch gemeinten Andacht auf. Der Gestus der Avantgarde ist ein freudloses Geschäft geworden, das auch nur noch die Veteranen und Scharfrichter wie Reich-Ranicki oder Enzensberger zu routinierter Abwehr veranlasst. Petschinka, Jahrgang 1953, der mit seinen allegorisch verblasenen Pappkameraden wie dem "Völlernden Kardinal" oder dem "Fürsten der Balance" etwas über die Migranten aussagen möchte, über die Verfinsterung der einheimischen Herzen inmitten des sündhaftesten Wohlstands, holt sich als sein eigener Uraufführungsregisseur lauter Zeichen auf die Bühne: kein Mensch, nirgends. Sondern kardinalrote Popanze mit grünen Glatzen, Goldlack-Engel im lockigen Haar, eine Primaballerina (Alisa Pearson), die süß singt wie Alban Bergs Lulu, aufgefahren in den Himmel der Genotzüchtigten. Die kreisrunde, von Muriel Gerstner und Thomas Hamann gebaute Spielfläche liegt dafür wie eine Platin-Schallplatte unter dem Kasino-Stuck. Warum geht es nun aber? Der von Johannes Krisch gespielte "blutige Ernst" beginnt als hennaroter Vampir immer dann nach Blut zu sabbern, wenn das Gemeinwesen "in der alten Spieluhr" einen Globalisierungsverlierer in sein rettendes Rund hineinzieht. Der Zuwanderer, der aussieht wie ein schwarzer, schöner, sizilianischer Turnlehrer (Michele Cuciuffo), muss dafür sein vormaliges Ich "verbrennen". Nur verschwindet diese düpierende Lehrübung in erzwungener Anpassung, diese pathologische Idee von der Unteilbarkeit des ethnischen Selbst, sozusagen spurlos von der Bildfläche - womit auch jeder Deutungsehrgeiz entfällt, diese untoten Zeichen-Leichen in ein anderes Leben zu übersetzen. Cuciuffo, der wonnige, auf Genuss erpichte Eindringling, möchte mit seinen unwilligen Gastgebern "liegen in der Hängematte des Epikur". Krisch wiederum "sät Raum und Zeit" und krallt dabei seine Finger mit den schwarz lackierten Nägeln in den Plauderdampf, den Dichter Petschinka ringsum verbreitet. Als gelungen darf man das Programm bezeichnen: ein kleiner Reisepass, in dem die Schauspieler ihre Finger vorsorglich abgedrückt haben. Stell dir aber vor, die Politik rollt über die lächerlichen Deutungsangebote des Theaters einfach hinweg! Lässt sich von keinen Allegorien blenden, von keinem Probierbühnen-Schnee. Alles wurst!? (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 11. 2001)