Wien - Vom religiösen Standpunkt her hat die Muslime nie etwas daran gehindert, im Ramadan Krieg zu führen. Der Yom-Kippur-Krieg 1973, von den Arabern gegen Israel vom Zaun gebrochen, ist in der islamischen Welt als "Ramadan-Krieg" in die Geschichte eingegangen; im irakisch-iranischen Krieg in den 80er-Jahren gab es keinerlei Kampfpausen im Fastenmonat - im Gegenteil, in diese Zeit fallen besonders grausame Schlachten; und auch der islamische Prophet Mohammed ließ im Ramadan kämpfen. Umgekehrt reichte die massive viertägige US-Attacke gegen den Irak im Dezember 1998 ebenfalls in den Ramadan hinein, ohne dass dies sonderlich thematisiert wurde. Bei den westlichen Befürchtungen (die sich in verbalen Verneigungen vor "muslimischen Sensibilitäten" zu äußern pflegen) geht es also weniger um den Krieg in Afghanistan als um das politische Gleichgewicht in den anderen islamischen Staaten. Zu Recht: Die im Ramadan aufgeheizte religiöse Stimmung, durch den physischen Ausnahmezustand verstärkt - man isst und trinkt (!) nicht von Sonnenaufgang bis -untergang -, läuft traditionell leicht aus dem Ruder. Die Menschen sind im Ramadan besonders leicht zu mobilisieren, diesmal vielleicht gegen ihre mit den USA kooperierenden Regierungen. An und für sich sind Soldaten - und da besonders jene, die in einem "Djihad" (Heiliger Krieg) für den Islam kämpfen, was die Taliban nach eigener Auffassung ja tun - vom Fasten im Ramadan befreit (genau wie Kranke, Reisende und Schwerarbeiter). Laut einer Überlieferung hat der Prophet Mohammed auf Empfehlung seiner Frau Umm Salama selbst einmal öffentlich in Kriegszeiten das Fasten gebrochen, um seine Soldaten zum Essen zu ermutigen. Tatsächlich dürfte jedoch der religiöse Furor die physische Schwächung durch den leeren Magen leicht wettmachen - die im Vergleich zu den Irakern viel religiöseren iranischen Soldaten waren im Ramadan besonders wild, wird im Irak erzählt. Gefastet wurde jedoch auf beiden Seiten. Phropheten-Zitat Mit dem angeblichen Propheten-Zitat "Stellt das Fasten zurück, um stark für den Kampf gegen eure Feinde zu sein" wurde übrigens in Tunesien unter Präsident Bourghiba gegen das Hungern im Ramadan, das die Produktivität schädige, geworben. Ebenfalls in den 60er-Jahren gab es in Ägypten Überlegungen, Studenten, die im Ramadan Prüfungen ablegen mussten, das Fasten zu erlassen. Mit der Reislamisierung der islamischen Welt ist das heute hinfällig, im Gegenteil, das öffentliche Leben erlahmt fast völlig, auch auf Touristen wird zusehends weniger Rücksicht genommen. In einer ägyptischen Kleinstadt waren vor ein paar Jahren bei einem Kontrollbesuch in der Stadtverwaltung neun von 270 Beamten anwesend, Disziplinarmaßnahmen gab es keine. Auch unter Muslimen in der Diaspora wird heute weit mehr gefastet als vor zehn, zwanzig Jahren. Afghanistan ist ein Land, wo dem Ramadan eine besonders hohe religiöse Bedeutung zukommt. Verstöße werden streng geahndet. Das gilt speziell für die Paschtunen (aus denen sich die Taliban rekrutieren). Interessant ist, dass die Paschtunen mit den nordafrikanischen Berbern nicht nur diese Betonung der Bedeutung des Fastens gemeinsam haben, sondern auch die Legende, sie (die Paschtunen bzw. die Berber) seien die Nachkommen der verlorenen Stämme Israels. (DER STANDARD, Printausgabe 5.11.2001)