An Alma Rosé erinnert in ihrer Heimatstadt Wien eine Straße in der Per-Albin-Hansson-Siedlung Ost, aber kaum jemand wird wissen, wer und was sich hinter diesem Namen verbirgt. Vielleicht nicht einmal diejenigen, die Fania Fénelons Das Mädchenorchester von Auschwitz gelesen haben. Alma Rosé war die Dirigentin dieses Ensembles. Fénelons Buch hat nach seinem Erscheinen 1976 für Erschütterung und - unter den Überlebenden des Mädchenorchesters - für Kontroversen gesorgt, was die sehr negative Beschreibung von Alma Rosé anbelangt. Diese Kontroversen - und Almas Bruder Alfred - haben den kanadischen Journalisten und Musikkritiker Richard Newman bewogen, eine Biographie der Künstlerin zu schreiben. Die Arbeit an Alma Rosé. Vienna to Auschwitz beschäftigte ihn 22 Jahre. In dieser Zeit hat er neben seinen umfassenden Recherchen über 100 Interviews mit Zeitzeugen in aller Welt geführt - alles in dem Bestreben, der Wahrheit über Alma Rosé so nahe wie möglich zu kommen. Und man darf annehmen, dass der Biographie wohl kaum noch etwas hinzuzufügen sein kann. Das (gemeinsam mit Karen Kinley) bei aller Empathie für Alma Rosé ein wenig distanziert geschriebene Buch ergeht sich nie in Fiktion oder Mutmaßungen. Alles, was beschrieben wird, ist belegt oder von Zeugen berichtet. Unklarheit werden nicht bereinigt. Somit wird auch, wie in Biographien ansonsten üblich, keine eindeutige Person beschrieben, sondern Aspekte eines Menschen, die man sich selbst zusammenfügen kann. Alma Rosé wuchs in einer wohlhabenden, elitären Familie auf, die Mutter Justine war die Tochter von Gustav Mahlers Schwester, der Vater Albert Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, der seine Tochter auch unterrichtete. Alma versuchte, ein Leben als selbständige Geigerin zu führen, woran auch die (bald wieder geschiedene) Ehe mit dem Violinvirtuosen Vasa Prihoda nichts änderte: Sie gründete die "Wiener Walzermädeln" und tourte mit diesen durch Europa, solange Juden dies möglich war. Nach den Anschluss brachte Alma ihren (von den Philharmonikern entlassenen) Vater nach England, um sich in Holland weiter ihrer Karriere zu widmen. Auf der Flucht vor den Nazis wurde sie in Frankreich aufgegriffen und nach Auschwitz deportiert. Dort übernahm sie das Frauenorchester. Aus hungernden und terrorisierten Mädchen mit welcher Ausbildung und welchem Instrument auch immer formte sie ein brillantes Orchester, das - neben Marschmusik für die Arbeitskommandos - Mozart für den Kommandanten und die AufseherInnen (sowie für eigens eingeladene hochrangige Nazis) auch auf Akkordeons und Mandolinen spielte. Den Frauen Disziplin und Gehorsam abverlangend ("Wenn wir nicht gut spielen, gehen wir ins Gas"), rettete sie ungefähr 50 von ihnen vor dem sicheren Tod. Sie selbst starb am 5. April 1944 an einer Fleischvergiftung und wurde - in einem Vernichtungslager! - aufgebahrt. Fénelon berichtet in ihrem Buch, dass der Massenmörder Dr. Mengele vor ihren im Musikzimmer aufgehängten Taktstock respektvoll Andacht gehalten haben soll. Newman fand keine weiteren Zeugen für diese Erinnerung. Doch er hat Alma Rosé ein würdiges Denkmal geschaffen: diese penibel recherchierte, ausgezeichnet geschriebene, erschütternde Biographie. Die deutsche Übersetzung wird wahrscheinlich im Herbst 2002 im Weidle Verlag erscheinen. Von Werner Schuster - DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 3./4.11.2001