Selten klang die Redensart, dass jemand eine Niederlage aus den Fängen des Sieges schnappt, so berechtigt wie nach dem gestrigen Debakel in Belfast: David Trimble, spröder Spitzenmann der protestantischen Bevölkerungsmehrheit Nordirlands, hat die letzten Jahre damit zugebracht, die IRA zu einem Verzicht auf ihre Waffen zu drängen. Dabei versuchte er bewusst, die Türe nie ganz zuzuschlagen, was ihm von seinen innerparteilichen Gegnern oft schwer gemacht wurde. Aber er blieb unbeirrbar bei seinem Ziel, die Entwaffnung als Faustpfand für die gutartigen Absichten der IRA zu verlangen.

Seit letzter Woche darf Trimble diesen Scharfmachern in den eigenen Reihen entgegenhalten, dass seine Taktik Früchte getragen hat, dass die IRA tatsächlich ihr eigenes Tabu brach und Waffen aus dem Verkehr zog. Doch die Annahme, dass Trimble nun endlich etwas mehr politischer Spielraum gegönnt werde, erwies sich als trügerisch: Seine unbelehrbaren Widersacher verhinderten am Freitag Trimbles Wiederwahl als Chefminister, und man darf sich seither die berechtigte Frage stellen, ob der ganze Streit um Waffen nicht doch ein grandioses Ablenkungsmanöver war. Der Verdacht, dass diese Kreise ganz einfach keine Katholiken in der Regierung Nordirlands wollen, ist jetzt schwerer zu entkräften.

Nordirlands Demokraten stehen vor einem Dilemma: Meinungsumfragen befürworten Trimbles Ernennung klar, aber wenn es jetzt Neuwahlen gäbe, wäre eine weitere Polarisierung zu befürchten; die Mitte würde weiter zur Ader gelassen, und vielleicht hieße dann der nächste Chefminister Paisley und sein Stellvertreter Adams - fundamentalistischer und selbstgerechter Protestant der eine, zum Friedenspolitiker gewandelter  Ex-IRA-Chef der andere. Die Mitte weiß deshalb, dass sie jetzt erst mal den Beweis ihrer Handlungsfähigkeit erbringen muss, bevor sie wieder vor die Wähler tritt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3./4.11.2001)