Mode und ihre Auswüchse in Japan: Kaum ein anderes Thema ist in den vergangenen Jahren in der europäischen und amerikanischen Lifestyle-Presse so ausgiebig beackert worden wie das vermeintlich exotische Konsumverhalten im Land der aufgehenden Sonne. Zu den üblichen Klischees von Kimono, blauen Salaryman-Anzügen und ausgeflippter Straßenmode hat sich nun ein neuer Stehsatz dazugesellt: Der Japaner an sich steht auf Taschen von Louis Vuitton. Auf den ersten Blick ist diese Behauptung durchaus nachvollziehbar: Louis Vuitton macht 50 Prozent seines Umsatzes mit Japanern. Allein in Japan kauften die Konsumenten im Vorjahr um rund 100 Milliarden Yen (knapp 920 Millionen Euro) ein. In den Straßen und U-Bahnen der japanischen Metropolen ist die LV-Dichte unübersehbar. Dabei ist das Phänomen gar nicht so exotisch, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Louis Vuitton hat in Japan ein Kunststück vollbracht, welches bisher nur den Jeansherstellern rund um den Globus gelungen ist: Ganz wie die einstige Arbeitskleidung der amerikanischen Viehhirten sind die dunkelbraunen Taschen mit hellbraunen Henkeln der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die japanischen Modekonsumenten einigen können. Die Vorliebe für Louis Vuitton verbindet blondierte und solariumgebräunte Teenager - die so genannten Ganguro-Girls - mit dem Büroangestellten, der sein Lunchpaket Louis-Vuitton-verpackt in die Arbeit transportiert. Dabei geht es gar nicht darum, ein Lebensgefühl von Reichtum und Glamour zu vermitteln. Die teure Tasche wird nicht auf ein Podest gehoben, sondern fast schon beiläufig konsumiert - das Luxusprodukt mischt sich als Gegenstand des täglichen Gebrauchs unters Volk. Die Taschen von Louis Vuitton stehen für keine Traumwelten à la Dallas oder Dynasty, sondern nur für sich selbst. Wer sich also das nächste Mal über angebliche japanische Modemarotten wundert, sollte zuerst einen Blick auf seine Beinkleider werfen: Mit ziemlicher Sicherheit werden es Jeans sein . . . der Standard/rondo/2/11/01