Die Architektur kämpft gegen Honorardrückerei, fiasköse Wettbewerbe, mangelnde Stadtplanung und die Windmühlen der Bürokratie: Ein Streitgespräch, moderiert von
Ute Woltron
Die heimischen Architekten liefern zwar hervorragende Produkte, feiern internationale Anerkennung,
sind selbst aber dabei großteils fast pleite. Das STANDARD-ALBUM
bat die Architekten Andras
Palffy, Elsa Prochazka, Heinz
Neumann, Kammerpräsident
Peter Scheifinger sowie den
Leiter der ÖBB-Bahnhofsoffensive, Norbert Steiner, zur
Diskussion, um die Gründe
dafür auszuloten. Warum
kracht es also dermaßen im
Architektengebälk?
Elsa Prochazka
: Ich bemerke,
dass sich bedauerlicherweise
ein Klima der Gegnerschaft
zwischen Bauherren und Architekten herausbildet. Das
ist einer der Gradmesser der
Verschlechterung der Situation. Letztlich haben beide
ein gemeinsames Interesse,
nämlich ein ökonomisches,
optimales Ergebnis zu erzielen. Ich verstehe nicht, warum es da Reibungsverluste
durch Gegnerschaft geben
muss.
Andras Palffy
: Das Schitzophrene ist folgendes: Architekturführer aus den 70er-,
80er-Jahren sind dünn und
klein. Heute gibt es Architekturführer für fast jede Region, es gibt sichtbar eine
dichtere Qualität in der österreichischen Architektur.
Zugleich kämpfen viele Büros wirtschaftlich um das
Überleben, was es früher
einfach nicht gab. Außerdem
bemerkt man, dass diese gute
Architektur hauptsächlich
auf private Initiativen zurückzuführen ist.
Prochazka
: Gleichzeitig hat
aber in der Öffentlichkeit die
Diskussion über Architektur
enorm zugenommen, auch in
den Medien. Es gibt Institutionen wie Architekturstiftung und Architekturhäuser.
Es leben also ganze Branchen vom Thema Architektur ganz gut - nur nicht die
Architekten selbst.
STANDARD: Viele Architekten behaupten, dass ihre Leistungen nicht entsprechend
abgegolten werden und Planungen oft auf ein Nullsummenspiel herauslaufen. Wie
schaut die Zahlungsmoral der
Auftraggeber tatsächlich aus?
Peter Scheifinger
: Man darf
den von den Kollegen selbst
dargebotenen Honorarnachlass nicht außer Acht lassen.
Der bringt Auftraggeber natürlich dazu, sich dieses
Verhalten allgemein anzueignen.
Prochazka
: Die Honorarordnung (Anm.d.Red.: Die GOA
regelt das Architektenhonorar nach erbrachter Leistung)
ist ein komplexes Thema,
und ein wichtiger Punkt ist
dabei, wann sie überhaupt
einsetzt? Es gibt tatsächlich
für die Architekten lange
Fristen der Vorfinanzierung:
Das ist ein schleichender
Nachlass, über den nie gesprochen wird. Im Wohnbau
greift es darüber hinaus um
sich, dass die Bauträger den
Architekten bis zur Einreichung beauftragen, dann
wird das Projekt samt der
Architektenleistung zu einem Bruchteil der Architektenhonorare auf Generalplaner übertragen, was einen
enormen Informations- und
letztlich Qualitätsverlust bedeutet. Die Verantwortlichkeit entgleitet dem Architekten zunehmend. Die vorhin
genannten Abschläge sind
nur die Spitze des Eisberges.
Scheifinger
: Andererseits erkennen immer mehr Bauherren, dass Qualität besser
vermarktbar ist.
Prochazka
: Das gilt nicht für den Wohnbau.
Scheifinger
: In Einzelfällen schon.
Palffy
: Schön, dass es das gibt, aber in Summe schaut's
ganz anders aus. Letztlich
zählt bauherrenseits nur
mehr der Einsparungswille,
mit dem oft ein Mangel an
inhaltlicher Kompetenz
kompensiert werden soll.
Das endet auch im letzten
Nachlass, nämlich damit,
dass man auf die Bezahlung
der Schlussrechnung noch
einmal zwei Jahre warten
muss.
STANDARD: Jede andere
Branche würde sich das nicht
gefallen zu lassen. Die Architekten scheinen ein sehr
geduldiges Volk zu sein?
Heinz Neumann
: Diese Branche ist ausgeblutet, und zwar
mit einem System, das Wettbewerb heißt. Wir werden
laufend gezwungen aus
Gründen der Existenz an
diesen Verfahren teilzunehmen. Dann passieren die eigentümlichsten Dinge, der
Bauherr sagt etwa: Schön,
der Wettbewerb, aber ich
bau jetzt doch lieber nicht.
50 Architekten haben teilgenommen, jeder hat 300.000
bis 500.000 Schilling ausgegeben, damit sind zig Millionen in den Rauchfang geblasen. Das ist ruinös, denn es
gibt kein Äquivalent, das
diese Berufsgruppe wieder in
eine Gewinnsituation führt.
Wir haben für das Kulturbewusstsein der Nation beizutragen, ohne bezahlt zu werden. Daher haben die meisten Büros absolut keine Reserven und sind gezwungen
unmenschliche Vertragsbedingungen einzugehen, um
überhaupt zu überleben.
STANDARD: Wie schauen solche Vertragsbedingungen konkret aus?
Prochazka
: Das vorhin Gesagte gilt für jeden Vertrag. Ich
kann das in jedem Punkt unterstreichen. Ich habe im
vergangenen Jahr vier Wettbewerbe mitgemacht, zwei
gewonnen, davon ist einer
aus politischen, der andere
aus Widmungsgründen abgestürzt. Ich kann mir also die
zwei gewonnenen auch in
die Haare schmieren. Ich habe dafür 500.000 Schilling
Abgang zu verbuchen. Wenn
sich die Situation jedes Jahr
so darstellt, kann man sich
leicht ausrechnen, wohin das
führt.
STANDARD: Agieren die Auslober fahrlässig?
Prochazka
: Es nützt alles
nichts, denn auch wenn alle
vier Parteien in der Jury vertreten sind, stürzen Wettbewerbe ab, trotz Konsens. Der
Wettbewerb ist ein prinzipiell ungeeignetes Verfahren
um zu innovativen und guten Ergebnissen zu kommen.
STANDARD: Wie sieht die Situation ein potenter Architektur-Auftraggeber wie die
ÖBB?
Norbert Steiner
: Für mich gehört dazu, dass man über
Wettbewerbe auch geliefert
bekommt, wie ich widmen
soll, und was ich wo baue.
STANDARD: Auch städtebauliche Vorstudien?
Steiner
: Es handelt sich eben
um Ideenwettbewerbe, und
die Architekten brocken sich
selbst schon viel ein, wenn
zwar wenig gefordert, aber
unheimlich viel geliefert
wird. Ich glaube, dass man
sich als Architekt prinzipiell
einmal mit anderen Rollenbildern beschäftigen sollte.
In anderen Ländern gibt es
den Designarchitekten, der
sich halt auf bestimmte Sachen beschränkt. Nicht jeder
Wohnbau muss aus einem
Wettbewerb entstehen, wo
50 Leute mitmachen.
STANDARD: Das hört sich nach
Wohnung als austauschbare
Ware an, vielleicht geht der
Weg ja wirklich dorthin?.
Steiner
: Wir stellen uns den
Architekten jedenfalls als
jemanden vor, der auch noch
das letzte Schrauberl mitbestimmt. Ich frage mich, ob
das noch das adäquate Rollenbild ist.
Prochazka
: Es gibt nichts
komplexeres und anspruchsvolleres als zum Beispiel ein
Städtebauliches Konzept zu
entwickeln, das, wenn es gescheit gemacht ist, einen
Milliardenmehrwert für den
Grundeigentümer schafft.
Das ist genau eine dieser
Aufgabenstellungen, die wir
österreichischen Architekten
immer als Draufgabe dazubekommen, um überhaupt
an Bauaufträge heranzukommen. Apropos internationale Rollenbilder: In England finanziert sich das Büro
Foster hauptsächlich über
Bebauungspläne, die sie
überall auf der Welt machen,
und die höchst dotiert werden. Wenn man sich nach
anderen Rollenbildern umschaut, sollte man wirklich
auch diese Aspekte einmal
durchdenken. Große Städtebauliche Verfahren, die der
Gemeinde Wien vor einigen
Jahren noch 700.000 Schilling wert waren, werden
heute mit 70.000 Schilling
abgegolten.
Neumann
: Die gesamte Wettbewerbssituation hat sich in
den vergangenen 15 Jahren
enorm verschlechtert.
Steiner
: Die wirtschaftliche
Situation hat sich doch
überall verschlechtert, und
ich muss schon auch sagen
können, dass Marktsituationen auch für Architekten
gelten.
Prochazka
: Wir wären ja
schon froh, wenn sie für uns
gelten würden!
Neumann
: Warum müssen
die Architekten kostenlos
Ideen bringen, damit Bebauungspläne entstehen. Das ist
nicht nachvollziehbar. Jeder
andere Berufsstand wird für
vergleichbare Leistungen gut
bezahlt. Die Gemeinde soll
sich zehn dafür qualifizierte
Leute suchen, soll drei Junge
auch dazuholen und jedem
ein entsprechendes Entgelt
zahlen. Dass ein Wettbewerb
veranstaltet und dann abgesagt wird, weil es keine Flächenwidmung gibt, ist unmoralisch und unfair. Wenn
ein Bauherr im Nachhinein
sagt, das Projekt sei nicht
umsetzbar, hätte er sich vorher darum kümmern oder
ein Gutachterverfahren veranstalten müssen. Wenn er
jedem geladenen Teilnehmer
500.000 Schilling in die
Hand drückt, dann kann er
mit den Plänen später machen was er will. Andernfalls hat es einen Sieger zu
geben, der baut, und zwar
nach der Gebührenordnung.
Dann gibt es noch ein anderes Thema, das mich langsam sehr nervös macht, und
zwar die Verhandlungsverfahren. Da sitzt man dann
plötzlich vor jemandem, der
sagt: Na von der Gebührenordnung müssen's 50 Prozent nachlassen, sonst kommen Sie leider nicht zum
Zug.
STANDARD: Das heißt,
die Unterschreitung der GOA,
die sich in den vergangenen
Jahren zwischen 7 und 30
Prozent eingependelt hat, geht
mittlerweile bis auf 50 Prozent?
Neumann:
Selbstverständlich.
Scheifinger:
Nochmals: Städtebauliche Wettbewerbe sind
komplex und beeinflussen
auf das äußerste die Wirtschaftlichkeit und Prosperität
einer Kommune, eines Viertels. Früher haben solche
Verfahren noch den Geist
geatmet, dass Städtebau
nicht etwas ist, was man in
den nächsten drei oder fünf
Jahren realisiert. Solche Verfahren haben langfristige
Perspektiven einer Stadt aufgezeigt. Da war es klar, dass
der Realisierungsanspruch
von den Teilnehmern nicht
gestellt werden konnte. Da
war es auch so, dass die
Preisträgerprojekte dazu gedient haben, Ideen zu liefern, und es gab entsprechende Preisgelder.
Prochazka:
Die zehnfach so
hoch waren wie die heutigen.
Scheifinger:
Klar. Es gab
Preisgelder von 600.000
Schilling, obwohl der Sieger
nicht gebaut hat. Bei Projekt-
und Realisierungswettbewerben hingegen ist es infam,
wenn hinterher nicht gebaut
wird. Da ist Schadenersatz
evident. Allerdings sind
nicht alle Verfahren dieser
Vergabe-Rechtsnorm unterworfen und bevorzugen den
Auslober aus der privatwirtschaftlichen Gestion heraus.
Wenn der Blöde, Arme, Finanzschwache findet, die da
mittun, dann wird er die
noch weiter ausbluten lassen, vernichten und in der
Folge Mangelprodukte bekommen.
STANDARD: Ein Verfahren steht
und fällt mir dem Auslober?
Scheifinger:
Solange die Reife
der Auftraggeber, sowohl
privater als auch öffentlicher, das nicht erkannt hat,
werden wir weiterhin gequält werden, weil wir Architekten sind, weil wir bauen wollen, weil das unser
Beruf ist.
STANDARD: Offenbar, es wurde
hier angesprochen, war die
Situation einmal deutlich
besser. Hat ein Niedergang in
der Architekturkultur stattgefunden?
Scheifinger:
Nicht in der Architektur- sondern in der
Auftraggeberkultur.
Prochazka:
In der Bauherrenkultur, würde ich sagen.
Steiner:
Es ist aber auch so,
dass selbst gute Architekten
freiwillig wirklich viel an
Honorar nachlassen, also es
sind nicht immer nur die
Auftraggeber die Bösen.
Neumann:
Die Auftraggeber
verlangen andererseits unseriöserweise städtebauliche
Studien als Eintrittskarten
für Projekte und bezahlen
dafür gar nichts. Das ist eine
Zumutung.
Steiner:
Es ist für Auftraggeber legitim zu sagen, wir
wollen eine erste Idee, eine
Skizze, wie ihr ein Problem
städtebaulich lösen würdet.
Prochazka:
Das ist eine völlige Fehleinschätzung einer
Aufgabenstellung.
Neumann:
Städtebaulich zum
Beispiel den Praterstern einzubetten, wie das die ÖBB
gerade in einem Wettbewerb
verlangen - wissen Sie überhaupt, was das für eine unglaubliche Arbeit ist?
Palffy:
Das ist so, als ob ein
Arzt eine Ferndiagnose aus
ein paar dutzend Metern
macht und meint: Sie könnten vielleicht Bauchweh oder
Halsweh haben. Was kann
man mit einer Skizze seriös
darstellen?
Steiner:
Ich will das ja nicht
fein durchgearbeitet haben,
sondern gute Ideen bekommen.
Scheifinger:
Ich würdige den
Anspruch, den Aufwand papiermäßig zu verringern,
aber der geistige Input, den
man liefern muss, geht über
die Skizze weit hinaus, wenn
man nicht nur ein paar Striche abgeben will.
Neumann:
Ich kann ja auch
gleich ein Comic liefern.
Steiner:
Was soll ein Auftraggeber wie die ÖBB also
tun?
Scheifinger:
Die Antwort
muss von der Stadt Wien
kommen. Die Stadtplanung
muss prinzipiell dafür sorgen, dass Rahmenbedingungen für Projekte geklärt sind.
Steiner:
Darauf warte ich ja
schon seit zwei Jahren.
Neumann:
Und jetzt sollen
das die Architekten kostenlos liefern, wenn’s die Gmoa
nicht bringt?
Scheifinger:
Die ÖBB muss
Schnittstellen zur Stadt vorfinden. Ich habe schon vor
drei Jahren Klotz und Görg
darauf angesprochen, als die
Bahnhofsoffensive noch gut
in Fahrt war, und gefragt:
Was tut ihr zur Vorbereitung, um der Bahn entgegenzukommen in den Bereichen
Südbahnhof, Westbahnhof,
Praterstern, Nordbahnhof?
Die städtebaulichen Rahmenbedingungen hat die
Stadt selbst zu schaffen.
STANDARD: Was tut die Gemeinde eigentlich wirklich?
Palffy:
Sie will privates Kapital, das in der Stadt Fuß
fasst. Die Staatskassen sind
leer, doch dann wäre es auch
Aufgabe der Gemeinde, diese
Prozesse zu moderieren. Das
beginnt bei Wettbewerben
und geht bis hin zur begleitenden Kontrolle, dass alles
ordentlich umgesetzt wird.
Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden,
nicht nur für den Investor
sondern auch für die Stadt.
Hier muss eine konstruktivere Gesprächsebene gefunden
werden.
Steiner:
Eine vorbereitende
Flächenwidmung gibt es
nicht mehr, es gibt nur eine
anlassbezogene. Auch werden keine Anreize für Investoren geschaffen, du musst
immer selbst als solcher auftreten, damit überhaupt etwas geschieht.
Prochazka:
Richtig, und das
Anlassbezogene ist natürlich
immer das Schwächste. Ich
will aber noch etwas dazu
sagen: Ich bin entsetzt darüber, dass Sie als wichtiger
Bauherr offenbar keine Ahnung zu bestimmten Aufgabenbildern, wie etwa den
Städtebau, haben. Das ist ein
Problem für uns Architekten,
dass wir nicht vermitteln
können, was wir als Input zu
leisten haben. Es gibt zum
Beispiel eine schöne Skizze
von mir zu einem 35 Hektar
Baugrund, die Vorarbeit dazu
hat aber drei Monate beansprucht. Städtebau wird weder von der Stadt noch von
Investoren entsprechend gewürdigt.
Scheifinger:
Und die Vorleistungen werden von der Stadt
einfach nicht erbracht. Die
Stadtplanung ist zahnlos geworden, weil sie kein Geld
hat.
Neumann:
In Wien findet
überhaupt keine Stadtplanung statt.
Palffy:
In der Wiener Innenstadt sind beispielsweise
zwei Tiefgaragen geplant, die
ein erhöhtes Verkehrsaufkommen in die Altstadt
bringen werden. Da geht es
um grundlegendes Verständnis, was Stadt- und Verkehrsplanung ist. Ein übergeordnetes Verkehrskonzept
ist in seinen Konturen nicht
erkennbar.
STANDARD: Die Architektur
scheint also eine dermaßen
verfahrene Szene zu sein,
dass man sich als junger
Mensch besser nicht hineinbegeben sollte?
Scheifinger:
Im Gegenteil.
Wegdenken, Wegschauen ist
nicht zulässig. Daher sitzen
wir jetzt hier, sitzen in unseren Büros, reissen uns den
Hintern auf für die Thematik
und verbluten langsam irgendwann einmal. Und am
Ende haben wir nicht wenig
sondern weniger als nichts
am Konto.
Neumann:
Bravo. So ist es.
Scheifinger:
Es gibt bereits
Beispiele, wo die Banken
über bankrotte Kollegen sagen: Das ist ein wichtiger
Mann in der Stadt, ein paar
intervenieren auch für ihn,
dann gibt es irgendwann einfach einen Schuldennachlass
oder Konkurse.
Neumann:
Schuld daran sind
die GOA-Abschläge und die
unseriösen Wettbewerbe.
Auch für die Verfahren muss
es die Gebührenordnung
spielen. Wenn das Projekt
dann aus welchen Gründen
auch immer nicht umgesetzt
wird, so ist das ebenfalls zu
bezahlen. Es gibt für einen
Bauherren, der uns Architekten in Hundertschaften fordert, kostenlos Millionen
hinzutragen, keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Der
sitzt für mich am Spieltisch
wie ein Groupier, und er
muss auch auszahlen. Der
kann nicht aufstehen, hinausgehen und sagen: Heute
ist nix.
Steiner:
Dann wird es nicht
mehr lange Wettbewerbe geben.
Neumann:
Das wäre ohnehin
das Gescheiteste, wenn die
sittliche Reife der Auslober
fehlt. Der Wettbewerb ist eine moralische Instanz, die
von beiden Seiten wahrgenommen werden muss.
Prochazka:
Ich bin eigentlich
sehr ergebnisorientiert, und
ich frage mich, ob volkswirtschaftlich nicht enorme
Summen vergeudet werden.
Neumann:
Wir haben nicht
mehr das Kapital, jedes Projekt in der Tiefe, Schärfe,
Genauigkeit zu führen, weil
wir das gesamte Geld in
nicht gebaute Wettbewerbe
stecken.
STANDARD: Das alles ist bekannt, aber wie kommt man
aus der Situation heraus?
Warum berechnet die Kammer nicht, welche Summen
verschleudert werden und wie
teuer den Körperschaften
letztlich schlecht umgesetzte
Wettbewerbe kommen?
Scheifinger:
Ich habe genau
das vor Jahren mit Hannes
Swoboda besprochen, der
auch gemeint hat: Na rechnet das einmal aus. Aber wir
haben nicht den Apparat der
Magistrate hinter uns. Die
haben die Beamten und die
Rechenstifte, warum soll das
delegiert werden? Die Körperschaften müssen das
selbst nachrechnen.
STANDARD: Sie tun es aber offensichtlich nicht.
Scheifinger:
Dann muss man
sie zwingen.
Prochazka:
Die Kammer wäre
schon ein Instrument, so etwas zu machen. Wir zahlen
ja schließlich Beiträge.
Scheifinger:
Ich leide schon
darunter, den Normalbetrieb
aufrecht zu erhalten. Ich
kann es nicht machen, weil
das Geld nicht da ist. Der
Magistrat hat die Beamten,
was tun die bitte? Die sollen
das rechnen.
STANDARD: Es geschieht aber
nicht, weshalb wir nicht aus
dem Problem herauskommen.
Wie schaut also die Strategie
aus?
Scheifinger:
Dann muss es
die öffentliche Meinung
verlangen. Es geht schließlich um viel Geld. Ein städtebaulicher Wettbewerb, der
schlecht ausgeht, kostet unter Umständen Milliarden.
Schlechte Architektur produziert ebenfalls enorme
Folgekosten.
STANDARD: Das wissen die Architekten, aber sonst kein
Mensch.
Scheifinger:
Der Souverän,
der mit öffentlichen Geldern
jongliert, muss rechnen.
Scheifinger:
Nehmen wir nur
aus aktuellem Anlass
Karlsplatz und Künstlerhaus
her.
Palffy:
Da werden um mindestens 23 Milliarden Schilling U-Bahn-Erweiterungen
aus dem Zentrum an die Peripherie gebaut, es gehen
täglich mindestens 50.000
Personen in dieser Station
rein und raus. Das gesamte
Areal liegt als großartiges
Verkehrsbauwerk brach.
Wenn man drüberfährt
glaubt man am Verkehrsverteiler Süd zu sein, nur statt
dem Horr-Stadion steht der
Musikverein dort. Das sind
die Realitäten. Um eins
komma irgendwas Prozent
der genannten Summe könnte man die gesamte Situation
dort tadellos in Ordnung
bringen und die Lebensqualität tausender Menschen aufwerten. Es handelt sich um
einen der wichtigsten Orte in
einer Stadt, die sich eigentlich als Kulturstadt versteht.
Das geht aber alles nicht,
weil die U-Bahn keinen Lift
auf die unteren Geleise führen kann - denn das sind die
Argumente, bei denen wir
als Architekten, die den Ort
verbessern wollen, landen.
Prochazka:
Dieses Projekt ist
ein klassisches Beispiel: Hier
hat ein Gutachterverfahren
mit erstklassigen Architekten
stattgefunden, das Büro Jabornegg-Palffy hat es gewonnen, baureif geplant, jetzt ist
es abgestürzt und sie kämpfen um ihr Honorar. Ein
Symptom der allgemeinen
Situation.
STANDARD: Offenbar mangelt
es einerseits an gescheiter
Organisation architektonisch- städtebaulicher Prozesse, und
andererseits gibt es einen eklatanten Mangel an Wertschätzung gegenüber der Arbeit, die Architekten zu erbringen instande sind. Wie
steuert man dem entgegen? Es
geht schließlich nicht nur um
eine Berufsgruppe sondern
um die gesamte bauliche
Umwelt, in der wir alle leben?
Neumann:
Das beginnt damit,
dass nicht der Architekt
nachweisen muss, die finanzielle Potenz für einen Auftrag zu haben - das geht so
weit, dass man aufgefordert
wird, Bankgarantien vorzuweisen - sondern der Bauherr müsste die Bankgarantie
legen, dass er sich das Haus
überhaupt leisten kann.
Prochazka:
Ich gebe eines zu
bedenken: Die Diskussion
über Wettbewerbe suggeriert,
wenn alles ordnungsgemäß
abgehandelt würde, wäre die
Welt in Ordnung. Doch gesagt muss sein, dass Wettbewerbe erstens nie objektiv
sein können und zweitens
ruinöse Verfahren darstellen:
Ein Roulette, das die Architekten immer wieder gezwungen sind zu spielen. Sie
sind das einzige gesellschaftlich akzeptierte
Glücksspiel, das es in Österreich gibt.
Neumann:
Wobei im Casino
definiert ist, wievielfach was
ausbezahlt wird. Wir wissen
hingegen nicht, ob der Groupier überhaupt ausbezahlt.
Das ist für mich der Grund,
warum ich lieber in ein Casino gehe, als einen Wettbewerb zu machen. Zum Beispiel haben 260 Architekten
am Wettbewerb Kulturinstitut New York teilgenommen,
da haben alle Kollegen insgesamt mehr hineingesteckt,
als der schließlich mit dem
Bau beauftragte Wettbewerbssieger Raimund Abraham an Honorarsumme bekommen hat.
Scheifinger:
Dabei war war
bei diesem Wettbewerb, wie
bei anderen auch, eigentlich
von vornherein klar, wer
letztlich ganz vorne mitmischen würde. Alle anderen
sind verheizt worden.
Prochazka:
Jeder der die
Szene ein bisschen kennt,
weiß, dass das natürlich
stimmt. Die Botschaft in
Berlin ist auch so ein Fall.
Warum kann Hans Hollein
nicht direkt beauftragt werden?
Scheifinger:
Das ist anders
gelaufen, da war die Wirtschaft beteiligt. Stahl- und
Steinfassade haben hinter
den Kulissen miteinander gerungen.
STANDARD: Wer wäre Stahl gewesen?
Scheifinger:
Man zwinge
mich bitte nicht, vor laufender Kamera die Hosen herunterzulassen.
Prochazka:
Wir sind keine
Neidgenossenschaft, bei
manchen Projekten ist es natürlich sinnvoll, direkt ohne
Wettbewerb zu vergeben.
Scheifinger:
Die Architektur
muss es schaffen, mit den
richtigen Gesprächspartnern
am Diskussionstisch zu sitzen. Ich will nicht mit einem
Leiter einer MA verhandeln,
sondern mit dem Stadtrat.
Die Handschlagqualität ist
abhandengekommen, alle
verstecken sich hinter irgend
welchen Verordnungen und
Gesetzen.
STANDARD: Gab es diese Handschlagqualität denn wirklich
einmal?
Scheifinger:
Natürlich, keine
Frage, und es ist noch nicht
allzu lange her.
Palffy:
Noch etwas: Für rund
1.300 Wiener Kammermitglieder gab es heuer genau
einen öffentlichen Wiener
Wettbewerb, und das war die
Katharinengasse.
Scheifinger:
Das war kein
Wettbewerb, das war ein
Massaker. Und das nächste
Massaker folgte mit dem
Schönbrunn-Wettbewerb.
Palffy:
Für mich repräsentiert das, dass eine Moderation der Stadt einfach her gehört. Eine gewisse Breite, eine qualitative Auseinandersetzung - und das entsprechende Klima könnte gefördert werden. Revolutionen
passieren nicht von einem
Tag auf den anderen.
In Basel, um ein Beispiel zu nennen, ist aufgrund eines engagierten Beamten eine architektonische Blüte entstanden. Es gibt auch weitere
Beispiele, in Spanien, Holland usw. Da gibt es Qualitätsbegriffe, die unangefochten sind, und wenn man die
respektiert, dann funktioniert
es. Das illustriert, dass neben
einem angebrachten Regelwerk eine der Grundlagen
für gute Architektur vor allem der Wille dazu, sowie
eine gewisse Kompetenz in
der Materie ist. Wenn man
die nicht hat, muss man sich
um ein Umfeld bemühen,
muss sich lokale und durchaus auch externe Experten
holen, um Qualitätsarchitektur bewirken zu können.
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Postfach für Anmerkungen und Diskussionsbeiträge:
architektur@derstandard.at
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, ALBUM, 3./4. 11. 2001)