Wien - Ihre Gedichte, Romane, Erzählungen und Hörspiele haben sie bald zur modernen Klassikerin gemacht. Ilse Aichingers Rang als Lyrikerin und als Meisterin des präzisen Wortes wurde sofort erkannt und von Anfang an mit renommierten Preisen gewürdigt. Am 1. November feiert die nach Jahren in Frankfurt wieder in Wien lebende österreichische Schriftstellerin ihren 80. Geburtstag. Biographisches Ilse Aichinger kam mit ihrer Zwillingsschwester Helga am 1. November 1921 als Tochter einer Ärztin jüdischer Herkunft und eines Lehrers in Wien zur Welt. Ihre Kindheit, die durch die frühe Scheidung ihrer Eltern geprägt war, verbrachte sie in Linz. Später wuchs sie in der Obhut der mütterlichen Großeltern in Wien auf und musste mit ansehen, wie ihre Großmutter von den Nazis am Schwedenplatz in einem Lastwagen abtransportiert wurde. Ein Medizinstudium konnte Aichinger aufgrund der Rassengesetze erst nach dem Krieg beginnen, doch brach sie dieses bereits nach fünf Semestern ab, um ihren ersten, schon 1942 begonnenen Roman "Die größere Hoffnung" fertig zu stellen, der 1948 bei S. Fischer erschien. Das Buch, in dessen Zentrum eine Gruppe jüdischer Kinder im Wien der Nazizeit steht, fand bei seinem Erscheinen wenig Zustimmung, gilt heute aber als einer der wichtigsten deutschsprachigen Romane der Nachkriegszeit. Der Davidstern bedeutet darin nicht die geringere Hoffnung zu leben, sondern die größere, die Hoffnung "auf alles", Leben und Tod, Annahme des Leidens und Mut zur Angst. Ab 1950 arbeitete Aichinger in Frankfurt als Lektorin bei S. Fischer sowie an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. 1951 nahm sie erstmals an der Jahrestagung der "Gruppe 47" in Bad Dürkheim teil. 1952 erhielt sie den Preis dieser Gruppe für die "Spiegelgeschichte" - mit dem Text, der das Leben rückwärts von der Bahre bis zur Wiege erzählt, gelang ihr der literarische Durchbruch. Ziel des Lebens, so Aichingers Botschaft darin, sei der Tag der Geburt, "an dem du schwach genug bist" - es gehe darum, alles zu verlernen, auch und besonders die Sprache. Sie näherte sich zunehmend offenen literarischen Formen an, in denen lineare, kausale Zusammenhänge zu Gunsten sprachlicher Assoziationen in Hintergrund treten. 1953 heiratete Aichinger ihren Schriftstellerkollegen Günter Eich, den sie auf einer Tagung der "Gruppe 47" kennengelernt hatte. Die gemeinsame Tochter Mirjam (Jahrgang 1957) wurde Bühnenbildnerin, der Sohn Clemens Eich (1954), Schriftsteller und Schauspieler, verunglückte 1998 tödlich in Wien. Die Familie lebte zunächst in verschiedenen Dörfern Bayerns, dann im österreichisch-bayrischen Grenzort Großgmain. 1972 starb Günter Eich, 1984 übersiedelte Ilse Aichinger nach Frankfurt, seit 1989 lebt sie wieder in Wien. Die größten Werke Die Autorin schrieb außer ihren großen Romanen Erzählungen, Kurzprosa, Gedichte und Hörspiele. Zu ihren wichtigsten Veröffentlichungen zählen "Zu keiner Stunde - Szenen und Dialoge" (1957), "Besuch im Pfarrhaus" und "Knöpfe" (Hörspiele/1961), "Wo ich wohne" (Erzählungen, Gedichte, Dialoge/1963), "Eliza, Eliza" (Erzählungen/1965), "Auckland" (Vier Hörspiele/1969), "Schlechte Wörter" (Erzählungen/1976), "Verschenkter Rat" (Gedichte/1978), "Meine Sprache und ich" (Erzählungen/1978) und "Kleist, Moos, Fasane" (Kurzprosa/1987). Auszeichnungen Ilse Aichinger wurde mit zahllosen bedeutenden Auszeichnungen geehrt. Für ihr Lebenswerk erhielt sie den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur (1995) und voriges Jahr (zusammen mit W.G. Sebald und Markus Werner) den Joseph-Breitbach-Preis, die höchstdotierte Auszeichnung für SchriftstellerInnen in Deutschland. Die Jury lobte Aichingers "strenge, hellsichtige, unerhört konzentrierte, oft geisterhaft wirkenden Arbeiten", die "das Schweigen zugleich brechen und bewahren". Zum 70. Geburtstag der Dichterin hatte der Fischer- Taschenbuchverlag 1991 eine achtbändige Ausgabe der gesammelten Werke Ilse Aichingers veröffentlicht. Heuer erschienen zuletzt unter dem Titel "Kurzschlüsse. Wien" Prosa-Miniaturen aus den 50er Jahren sowie der Band "Film und Verhängnis - Blitzlichter auf ein Leben", eine Sammlung von Glossen, die die passionierte Kinogeherin seit nunmehr zwei Jahren unter dem Titel "Journal des Verschwindens" in der Tageszeitung "Der Standard" veröffentlicht. Morgen, Samstag, präsentiert Aichinger das Buch, das auch eine Art Autobiografie ist, im Rahmen des Filmfestivals Viennale im Metro Kino (21 Uhr). Dokumentation über "Die Kinogängerin" Am 11. November zeigt das Wiener Votivkino aus Anlass ihres 80. Geburtstages eine Dokumentation von Norbert Beilharz über "Die Kinogängerin". Der ORF würdigt die Autorin mit einem umfangreichen Programmschwerpunkt. "Ein Gesicht - zwei Leben. Am 1.11. um 15.05 Uhr spielt Ö1 Aichingers Hörspiel "Nachmittag in Ostende" (unter anderem mit Klaus-Jürgen Wussow und Louise Martini). (APA)