Bis vor einem Jahr war die durch das Internet gehörig durcheinander gewirbelte Welt der Musikindustrie zumindest in einem Punkt noch in Ordnung: Die kostenlose und überaus populäre Online-Tauschbörse Napster war der Gegner, den alle großen Musikkonzerne vor Gericht bekämpften. Doch dann wechselte Bertelsmann die Fronten - zumindest ein wenig: Der Konzern ging eine Allianz mit Napster ein und kündigte den Rückzug der eigenen Klage an, sobald mit Hilfe von Bertelsmann-Krediten aus der anarchischen Plattform ein kommerzieller Service wird. Doch der Start des neuen Abo-Napsters verzögert sich, und auch die schnell angekündigten Initiativen der Konkurrenten lassen weiter auf sich warten. "Immer und immer wieder verschoben" "Der Start von Pressplay und MusicNet wurde immer und immer wieder verschoben", sagt Analyst Mark Mulligan vom Marktforschungsinstitut. Über das Joint Venture Pressplay wollen Sony Music und Vivendi Universal ihre Künstler online vermarkten. AOL Time Warner, EMI, die Bertelsmann Music Group (BMG) und RealNetworks haben mit MusicNet ein vergleichbares Gemeinschaftsunternehmen. Sie wollen alle vom Potenzial der Millionen ehemaligen Napster-Nutzer profitieren. "Das Problem ist längst noch nicht gelöst" Die Technologie und die Frage der Rechte seien dabei die größten Probleme, sagt Mulligan weiter. Während MusicNet selbst lange mit der Entwicklung von Technologien für die Sicherung der Musikdateien beschäftigt gewesen sei, habe Pressplay nach der Übernahme des US-Unternehmens MP3.com durch Vivendi nun Zugang zu Technologie für Online-Musik. Auch bei dem anderen Problemfeld, den Lizenzen für die im Internet zu verkaufende Musik, sieht Mulligan vorsichtig positive Entwicklungen. "Das Problem ist längst noch nicht gelöst", sagt Mulligan. "Ich rechne aber trotzdem damit, dass MusicNet und Pressplay in den USA noch vor Weihnachten starten." Die Unternehmen wollen mit ihren Großhändlern für Online-Musik Pressplay und MusicNet auch in Europa Geld verdienen. Doch das sei flächendeckend noch in weiter Ferne, sagt Mulligan. "Der Markt ist noch nicht reif genug, es gibt nicht genug Interessenten und das System der Lizenzvergabe ist in Europa sehr kompliziert." Und die Konzerne haben ein weiteres Problem mit der Treue europäischer Online-Musikfans zu Napster: Seit das Musikangebot auf Napster durch gerichtlich angeordnete Filter immer dünner und die Website im Juli schließlich ganz vom Netz ging, sank einer Jupiter-Studie zufolge auch deutlich die Zahl der Europäer, die im Internet Dateien tauschen. Napster-Nachfolger wie Morpheus und iMesh scheinen nur in den USA zahlreiche Anhänger gefunden zu haben. Verhindern Bertelsmann setzt weiter auf Napster, das nach neuesten Prognosen des kalifornischen Start-Up-Unternehmens nun in den ersten drei Monaten 2002 als Abo-Service wiederbelebt werden soll. Doch Napster hat noch immer die Klagen im Nacken und längst nicht die Lizenzen aller Musikkonzerne sicher. Analyst Mulligan hält den neuen Start-Termin dennoch für realistisch. "Die großen Konzerne wollen unbedingt vor Napster etwas anbieten und verhindern jeden früheren Start", sagt er. Deshalb sei ein Termin nach Weihnachten denkbar. (APA/Reuters)