Die Filme von Marguerite Duras gehören selbst im Kanon des Autorenkinos zu den marginalisierten Einträgen, ihre Aufführung ist selten geworden. Dass man die Filme wiedersehen möchte, ist dieser Tage das unmittelbare Verdienst einer Buchveröffentlichung:

Das ortlose Kino von Lars Henrik Gass – Filmtheoretiker und seit 1997 Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage – ist allerdings keine Werkmonographie und es liefert auch keine filmanalytischen Interpretationen wie sie etwa von feministischen Filmtheoretikerinnen in den 80er-Jahren unternommen wurden. Gass entwickelt vielmehr aus der Lektüre des Werks – der Texte und der Filme – eine Taxinomie, die etwa bestimmte Verfahrensweisen, Motive, das Verhältnis von Bild und Schrift, von Sichtbarem und Sagbarem umfasst:

Die Prämisse ist folgende: "das Werk von Duras zeigt (...) eine Bewegung der Bücher in die Filme hinein und umgekehrt", die letztlich auf "ein ubiquitäres Schreiben, ein ortloses Kino" hinausläuft. Der Chronologie der Veröffentlichungen folgend spürt Gass das "Kino" zunächst im literarischen Frühwerk der Autorin auf. Beziehungsweise zeigt er, wie dieses zum einen als Topos nach und nach aufgebrochen wird – tatsächliche/erinnerte Kinoerlebnisse der Figuren weichen Situationen, wie jener in Moderato cantabile (1958): "Die Frau eines Industriellen und ein beschäftigungsloser Arbeiter erfinden die ihnen unbekannte Vorgeschichte des Mordes am Ort des Geschehens, an dem sie sich kurz nach der Tat zufällig begegnen. Die Bar kann als eine Art zweiseitiges Kino betrachtet werden, in dem der Projektor zugleich die Leinwand, der Saal der Film ist und die Schauspieler Zuschauer sind. Die Geschichte des unbekannten Liebespaares wird nach und nach die mögliche Geschichte der beiden Besucher dieses kinematographischen Raumes, denn diese sind nicht nur Lesende im Hinblick auf ein vorhergehendes Ereignis; sie sind es, die es schreiben und sich darin als Akteure wiederfinden." Allmählich "(tritt) an die Stelle der Handlung ein Bildraum".

Mitte der 60er-Jahre nimmt die Duras, die zuvor unter anderem das Drehbuch zu Alain Resnais' Hiroshima mon amour verfasst hatte, ihre eigentliche Filmarbeit auf, und führt darin ihre literarische Arbeit, die "in den Romanen angelegte Tendenz, das Buch an die Grenzen der Darstellung zu führen und einen unerzählerischen Raum hervorzutreiben" weiter. Ein Projekt, das schließlich mit Les enfants 1984 sein Ende findet. Gass beschreibt anhand detaillierter Filmlektüren welche filmischen Mittel dabei zum Einsatz kommen:

Wie Duras mit dem Off, dem Außen des Films, operiert – mit langen Einstellungen und der Suspendierung des Anschlusses (von einem Bild zum nächsten, aber auch zwischen Bild und Ton). Wie durch Musik und Stimmen sowie durch "Spiegel und Blickdiagramme" etwa in Nathalie Granger (1972) eine Entleerung und Dissoziation stattfindet. Wie die fortschreitende "Reduktion der formalen Mittel zu einer Lesbarkeit des filmischen Bildes" führt und dabei die "Faszination einer lesbaren Welt" zu Tage tritt, die in Duras' Werk einen zentralen Stellenwert einnimmt. (Isabella Reicher)