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Warschau - Bei der Parlamentswahl in Polen wird ein Erdrutschsieg des Bundes der Linken Demokraten (SLD) erwartet. Nach letzten Umfragen hat die Partei des früheren Innenministers und vermutlichen künftigen Ministerpräsidenten Leszek Miller sogar gute Chancen auf die absolute Mehrheit im nächsten Sejm (Abgeordnetenhaus). Das Regierungslager um die Wahlaktion Solidarnosc (AWS) des scheidenden Ministerpräsidenten Jerzy Buzek befindet sich hingegen seit Monaten in Auflösung und muss sogar um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Buzek wird immerhin als erster Regierungschef des postkommunistischen Polens seit 1989 eine ganze Legislaturperiode erfüllen. Nach dem Sieg der AWS bei der Parlamentswahl 1997, als das Bündnis von mehr als 30 rechtsgerichteten Parteien unter der Führung der Gewerkschaft Solidarnosc die Linke überzeugend schlagen konnte, wurde Buzek Chef eine Regierungskoalition mit der liberalen Freiheitsunion (UW). Das schwierige Bündnis zerbrach im Sommer 2000 nach langen Streitigkeiten um die Politik des damaligen Finanzministers und UW-Chefs Leszek Balcerowicz. Keine "Mitgliedschaft zweiter Klasse" Auch nach dem Rückzug aus dem Kabinett unterstützte die UW die Minderheitsregierung Buzeks in den wichtigsten Fragen. Der 1999 erfolgte Beitritt zur NATO steht unter den wichtigsten polnischen Parteien ebenso außer Frage wie die angestrebte Mitgliedschaft in der EU. In den Verhandlungen mit der EU ist Polen aber im vergangenen halben Jahr stark in Rückstand geraten. Mit erst 16 abgeschlossenen Kapiteln ist das Land auf den zehnten Platz von zwölf Kandidaten abgerutscht. Die betont harte Haltung führte zu wachsender Unzufriedenheit in Brüssel, aber auch bei anderen Bewerbern wie Ungarn, die schon mitteilten, "keinesfalls auf Polen warten" zu wollen. Polen lehnt bisher die siebenjährige Übergangsfrist für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer vehement als eine "Mitgliedschaft zweiter Klasse" ab. Ebenso entschieden verlangt Warschau hingegen eine Übergangsfrist für den Grunderwerb durch Ausländer in Polen von 18 Jahren. Als besonders schwierig gelten auch die noch ausstehenden Verhandlungskapitel Landwirtschaft, Strukturfonds und Regionalförderung. Bei einem Besuch in Brüssel sprach Buzek kürzlich davon, dass sich sein Land nach dem Beitritt von der EU jährliche Finanzhilfen von mindestens acht Milliarden Euro (110,1 Mrd. S) erwarte. "Das ist kein Fußballmatch" Die Regierung verteidigt ihre harte Haltung mit dem Hinweis auf die historische Bedeutung des EU-Beitritts. "Das ist kein Fußballmatch", sagt Außenminister Wladyslaw Bartoszewski. Kritiker meinen aber, dass mit der bisherigen Verhandlungsführung in der Bevölkerung vor allem übertriebene Erwartungen geweckt wurden, die letztlich nicht erfüllt werden können. Die Zahl der EU-Befürworter in Polen ist mit etwa 50 Prozent ziemlich konstant. Zugleich aber wächst die Zahl jener, die glauben, dass die Union von der Aufnahme Polens mehr profitiert als umgekehrt ihr Land. Der SLD hat bereits eine flexiblere und raschere Verhandlungsführung mit der EU signalisiert. Innenpolitisch brachte die Regierung Buzek wichtige Reformen in den Bereichen Pensionen, Gesundheit, Verwaltung und Bildung auf den Weg. Der starke Rückgang des Wirtschaftswachstums bei anhaltender Ausgabenfreudigkeit des Staaten ließ das Land zuletzt aber in eine ernste Schuldenkrise schlittern. Ohne dramatische Maßnahmen droht nach Expertenmeinung im nächsten Jahr ein Haushaltsdefizit von bis zu 90 Mrd. Zloty (23,9 Mrd. Euro/329 Mrd. S) bzw. elf Prozent des BIP. Nach Regierungsbeschluss soll das Defizit 40 Mrd. Zloty betragen dürfen. Der Streit um das Haushaltsdefizit führte zuletzt zur Entlassung des parteilosen Finanzministers Jaroslaw Bauc, dessen Warnungen die Kabinettskollegen lange nicht ernst nehmen wollten. Bereits in den Vormonaten war kaum eine Woche ohne einen Abgang aus der Regierung vergangenen: Von den 22 Ministern, die 1997 mit Buzek vereidigt wurden sind noch fünf im Amt. Auch die AWS ist mittlerweile vielfach gespalten und dezimiert. Von den 201 Abgeordneten des Jahres 1997 sind heute nur mehr 134 in der Fraktion. Zur Parlamentswahl am 23. September treten landesweit acht Parteien bzw. Bündnisse an. Die sind neben AWS, UW und SLD die Gruppierung "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die Polnische Bauernpartei (PSL), die Bürgerplattform (PO), die radikale Bauern-Selbstverteidigung und die Alternative Liste. Letztere haben keine Chance, die für Parteien geltende Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Für Bündnisse wie AWS und SLD gilt eine Marke von acht Prozent. (APA)