Der Wandel der Gesellschaft in der digitalen Welt erfordert nach Ansicht des früheren SPD-Medienexperten und nunmehrigen Direktors am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität Sankt Gallen, Peter Glotz, heute mehr denn je ein Handeln der Politik. "Der digitale Kapitalismus kommt, wie immer wir zu ihm stehen", betonte Glotz in seinem Referat zur Eröffnung der Alpbacher Mediengespräche. Kultureller Optimismus Es gebe jedoch die "fatale Tendenz, die digitale Revolution nicht als Herausforderung für intelligentes politisches Handeln zu verstehen, sondern als wunderbare Brotvermehrung". Glotz' Vortrag wurde vom Präsidenten des Europäischen Forums Alpbach, Erhard Busek verlesen, nachdem der Gast wegen Erkrankung sein Kommen abgesagt hatte. Wer so tue, als ob die Deregulierung, Privatisierung, die Freihandelslogik der Welthandelsorganisation (WTO) und der Globalisierungsdruck der internationalen Finanzmärkte von selbst zu Wohlstand, Gerechtigkeit und sozialem Frieden führten, täusche sich und andere, schrieb Glotz. Dennoch plädiert er für "kulturellen Optimismus", sowohl die Apokalyptiker wie die Euphoriker hätten Unrecht. Die Gefahren sieht Glotz von einer deutlich weniger regulierten Wirtschaftsordnung ausgehen, die zur Entmächtigung des Nationalstaats führe, jedoch supranationale Akteure wie Europa nicht automatisch stärke. Die Wirtschaft sei globalisiert, die Politik aber nicht. Die Konzentration auf Zentren bleibt nach Einschätzung von Glotz eine Schlüsselkomponente des Wirtschaftsystems, in dem digitale Sektoren dominieren. Auf Grund des geringeren Einflusses drohten der Politik auch der Verlust von Regulierungsmöglichkeiten, was sich im so genannten "Steuerdumping" zeige. "Ein Haider genügte schon" "Es kommt zu einer Umverteilung mit einem begrenzten Bereich von Gewinnern. Glotz warnt weiters vor einer wachsenden Unfähigkeit des Staates, Menschen aus öffentlichen Mitteln aus- und weiterzubilden. Dies zeige sich etwa in der Zuwanderungsdebatte in Deutschland. Am Arbeitsmarkt profitierten vermutlich Schwellenländer mit gutem Bildungssystem vom "digitalen Kapitalismus", während es in den alten Industriegesellschaften eher zu leichten Arbeitsplatzverlusten komme. Ausdrücklich warnte Glotz vor den Modernisierungsverlieren dieser Entwicklung, etwa in Ostdeutschland. "Ein Haider genügte schon." Die EU sieht Glotz nicht ausreichend auf diese Herausforderungen vorbereitet Mit ihrer beim EU-Gipfel in Lissabon beschlossenen Internetoffensive betreibe die Union "symbolische Politik", konstatierte der Medienexperte. "Die Osterweiterung der Union ist einerseits unausweichlich, wird andererseits aber zur Handlungsunfähigkeit der Union führen, wenn nicht vorher die Vertiefung der Gemeinschaft durchgesetzt wird", lautet ein weiterer Befund von Glotz. Kritik übt er auch daran, dass deutsche und französische Spitzenpolitiker ihre Reformideen nur noch als Privatleute deklarierten. (APA)