Im Laufe des gestrigen Vormittags waren zwar in Gilo immer wieder Gewehrsalven zu hören, doch es war nicht festzustellen, ob sie wie so oft in den Monaten zuvor auf den - nach israelischer Auffassung - jüdischen Bezirk von Ostjerusalem gerichtet waren: Die israelische Armee interpretierte sie als harmlose Freudenschüsse der Palästinenser, die drüben in Beit Jala den Abzug der Israelis wie einen Sieg feierten. Vor dem Morgengrauen hatten Panzer und Soldaten eilig die Positionen im palästinensischen Städtchen verlassen, die sie 48 Stunden zuvor eingenommen hatten - es war die bisher längste israelische Operation im Autonomiegebiet seit dem Beginn des Aufstands vor elf Monaten. Das Ziel, den ständigen Beschuss von Gilo zu unterbinden, war zunächst nicht erreicht worden, die Palästinenser hatten das Feuer sogar noch verstärkt. Doch Mittwochnachmittag trugen die Kontakte von Israels Außenminister Shimon Peres mit Autonomiechef Yassir Arafat plötzlich Früchte, mithilfe der USA und von EU-Politikern wurde eine Übereinkunft erzielt, ein Führer der Fatah-Miliz bestätigte, dass Arafat befohlen hätte, mit dem Schießen aufzuhören. Als in den Nachtstunden das Feuer tatsächlich abebbte, gab Israels Premier Ariel Sharon grünes Licht für den Rückzug. Die Panzer stünden aber bereit, betonte man in Israel, um jederzeit wieder vorzurücken, sollte die Waffenruhe gebrochen werden - der palästinensische Informationsminister Yassir Abed-Rabbo befürchtete, dass "eine Kugel da oder eine Kugel dort" für die Israelis schon ein Anlass sein könnte, wieder in Beit Jala einzumarschieren. "Ziel erreicht" "Wenn es unser Ziel war, die Ruhe in Gilo wiederherzustellen, dann haben wir unser Ziel erreicht", rechtfertiget Israels Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer die Übereinkunft mit Arafat, die Bewohner von Gilo blieben aber skeptisch. "Ich glaube den Palästinensern nicht, sie sagen das eine und machen das andere", meinte der 71-jährige Ilia Unigowski, "heute wird es ruhig sein, und morgen schießen sie wieder." Sein Balkon bietet einen prächtigen Blick auf Beit Jala, in seinem Wohnzimmer könnte daher jederzeit die nächste Kugel einschlagen. Den Rückzug aus Beit Jala hält er für falsch: "Die Regierung muss dafür sorgen, dass nicht auf Jerusalem geschossen wird, das ist die Hauptstadt von Israel." Unweit von Jerusalem wurde gestern ein Israeli, der in einem palästinensischen Restaurant aß, von einem maskierten Palästinenser ermordet, in Hebron und Tulkarem kam es zu Feuergefechten, zwei Palästinenser starben. (DER STANDARD, Print, 31.8.2001)