Eine entscheidende Rolle in der Definition, Bewertung und schließlich auch Kontrolle von Homosexualitäten - und somit von Frauen wie Männern, die als sexuell, sozial und folgerichtig psychisch Unangepasste gelten - nehmen seit dem 19. Jahrhundert die Vertreter von Wissenschaftsdisziplinen wie (Sexual-)Psychiatrie, Psychoanalyse und Psychologie ein. Gerade ihre "Fach"-Geschichten können somit als höchst empfindliche Seismographen auch in Bezug auf bisherige oder künftige Veränderungen wie auch Neu- und Umbewertungen der Geschlechterverhältnisse betrachtet werden. Der Umgang mit der Homosexualität kann als ein tabuisierender bezeichnet werden. Die deutsche Soziologin und Ethnologin Gisela Bleibtreu-Ehrenberg benennt in ihrem auf Deutschland bezogenen Standardwerk "Homosexualität. Die Geschichte eines Vorurteils" die bisherigen politischen, juristischen, wissenschaftlichen Formen des Umgangs mit diesem Tabu. In ihrer auch von der deutschsprachigen Sachbuchkritik viel beachteten Studie "Die Männer schlagen zurück" prägte die US-amerikanische Journalistin und Feministin Susan Faludi den Terminus "Backlash" für neue Formen von Frauenfeindlichkeit gerade vor dem Hintergrund bestimmter erkämpfter Erfolge der weißen US-amerikanischen Frauenbewegung, die eine Gefährdung bisheriger männlicher Machtverhältnisse darstellen. Dieser Backlash findet sein wissenschaftliches Pendant in Wissenschaftsdisziplinen wie Soziobiologie oder Humangenetik, die nicht nur zunehmend nach sozialisations-, kultur- und gesellschaftlich resistenten Unterschieden zwischen den Geschlechtern fahnden, sondern vor allem die körperliche, letztlich genetische Ausstattung von Frauen wie Männern als entscheidenden, der Ratio unzugänglichen Grund für menschliche Antriebe und Gefühle bzw. Handlungen beschreiben. Vor diesem - politischen wie wissenschaftlichen - Hintergrund wird neuerlich die Suche nach möglichen Genesefaktoren für Homosexualität aktuell. Zugleich stößt die Einforderung von Gleichstellungsmaßnahmen für Lesben und Schwule als BürgerInnenrechte nicht nur auf auch mentalitätsgeschichtlich bedingte Widerstände und Restriktionen, sondern weckt auch bestimmte Ängste und kann Aggressionen provozieren. Nichts Neues ist in diesem Zusammenhang die viel zitierte "Sorge um das Kindeswohl", in der sich latent die Angst vor homosexueller "Verführung" und letztlich auch "Prägung" in Richtung Homosexualität ausdrückt. Hinter der Sorge um das Kind, das vor der künftigen, als existenziell vernichtend wahrgenommenen "Deformierung seines Triebschicksals" durch eine als "kastrierend" wahrgenommene lesbische Mutter "geschützt" werden soll, verbirgt sich die Angst vor einem männlichen Machtverlust oder zumindest vor einer Abänderung des traditionellen Geschlechterarrangements etwa in der historisch gewachsenen Form der Klein- oder Kernfamilie, worauf Doris Hauberger in ihrem Gastkommentar (DER STANDARD vom 17. August) verwiesen hat. Tiefenpsychologische Befunde über Selbstbild und Selbstwahrnehmung lesbischer Frauen, ihre bewussten wie unbewussten Fantasien bezüglich Weiblichkeit, Männlichkeit, Körper und Sexualität sprechen jedoch eine völlig andere Sprache - immer unter der Voraussetzung, dass sich Autorinnen und Autoren selbst ihrer eigenen Fantasien in Bezug auf das als homosexuell Wahrgenommene bewusst sind. Die deutsche Psychoanalytikerin Barbara Gissrau dechiffriert in "Die Sehnsucht der Frau nach der Frau. Das Lesbische in der weiblichen Psyche" ältere wie aktuelle Theoriebildungen über weibliche Homosexualität (z. B. Sigmund Freud, Joyce McDougall) als Versuche, die Macht des väterlichen Phallus über die Frau aufrechtzuerhalten und zugleich als Abwehr gegen eine eigen- oder widerständige Selbstartikulation und Selbstdefinition von Frauen. In einem heterosexuell imaginierten Universum des Verhältnisses der Geschlechter - von lesbisch-feministischen Theoretikerinnen "Zwangsheterosexualität" genannt - müssen Frauen, somit auch Lesben, nicht nur als "Andere" im Sinne der Definition Simone de Beauvoirs existieren, ihnen wird auch jedes von Männern oder vom "Männlichen" unabhängige Leben abgesprochen. Wie stark das lesbische Begehren nicht nur Männer, sondern auch Frauen im analytischen Setting wie auch in alltäglichen Situationen zu verunsichern und zu ängstigen vermag, beschreibt die Zürcher Psychoanalytikerin Anna Koellreuter in "Das Tabu des Begehrens. Zur Verflüchtigung des Sexuellen in Theorie und Praxis der feministischen Psychoanalyse"; darin bezeichnet sie die Begegnung der heterosexuellen Frau mit der lesbischen "Fremden" als "Kulturschock". Ein zentraler Denkfehler Gerhard Amendts ist in diesem Zusammenhang seine subjektive Definition des Andersgeschlechtlichen als des "Fremden" bzw. die Verleugnung der psychischen Bisexualität beider Geschlechter. Zugleich ignoriert er zahlreiche, kürzlich von den kalifornischen SoziologInnen Timothy Biblartz und Judith Stacey zusammengefasste entwicklungspsychologische Untersuchungsergebnisse über in homosexuellen Familien aufgewachsene Kinder; diese erhalten mindestens genauso viel Liebe und Unterstützung wie in gewaltfreien Kleinfamilien. Nicht der Kinderwunsch von Lesben und von Schwulen, sondern die nicht haltbare Auffassung von der Polarität der Geschlechter ist ein "Zeichen aggressiver Desinteressiertheit" und maskiert Vorurteile als Wissenschaft. Gudrun Hauer ist Universitätslektorin für Politikwissenschaft in Wien (Schwerpunkte Lesben- und Schwulenforschung, feministische Theorie) und Aktivistin der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 25./26.8. 2001)