Das Jazzfestival Saalfelden präsentiert sich heuer wieder als verlässlicher Bauchladen der Stile: Funk, Soul, Freejazz und schmuseweiche Kammermusik sind im Angebot zu finden, das einen Hang zu größeren Bandkollektiven aufweist. Trotz allgemein hohen Niveaus fehlte allerdings die wirklich große Überraschung.Saalfelden - Durchs Reden kommen die Leute auseinander - am Besten versteht man sich, wenn man gemeinsam schweigt. Leider aber gibt es Leute, die davon leben, andere plaudern zu lassen. Festivalveranstalter etwa. Reden auf einen ein, schlagen interessante Gesprächssituationen vor, und schon ist das beredte Schweigen gefährdet. Hört man Wolfgang Puschnig und Paul Bley, die das Saalfeldener Festival zusammengebracht hat, merkt man allerdings, dass sie sehr lange konsequent geblieben waren, einander lange angeschwiegen haben müssen. Der Konzerttermin rückte näher, aber nur nicht reden, planen. Alles dem Augenblick überlassen.

So ist das hochsommerlich beschenkte Publikum Livezeuge einer Erstbegegnung im gemeinsamen Glauben an die Magie des Spontanen. Besonders für Puschnig eine schwierige Sache. Er hat auf jemanden zu reagieren, dessen Qualität darin besteht, eine multiple Persönlichkeit zu sein. Paul Bleys Welt kennt die Urwüchsigkeit von Cecil Taylor und die malerische Lyrik eines Keith Jarrett. Aus dieser cool-lakonisch gebrauten Mischung ergibt sich Unberechenbarkeit - man weiß nie, wann eine tonale Idylle durch freitonale Eingebungen aufgelöst wird.

So entsteht der Eindruck eines Bley-Konzertes, bei dem Puschnig versucht, mehr zu sein als Verzierung. Man erlebt nicht die Geburt eines Projektes, sondern den Akt seiner Zeugung. Schade. Auch das Plaudern mit sich selbst, also mit einer Person, die man gut kennen sollte, kann indes zum Problem werden. Natürlich, Gonzalo Rubalcaba, in die USA emigrierter kubanischer Virtuose, verfügt über so viel Technik, dass er davon einiges verkaufen könnte, ohne Niveau zu verlieren.

Grunz-Bässe links, im Diskant der Rechten große Leichtigkeit. Doch aus der technischen Nichtgefährdung steigt nichts auf, das den Schluss zuließe, der Virtuoso hätte sich selbst etwas zu sagen. Einzel- oder Zwiegespräche sind heuer übrigens eine Randerscheinung. Will man einen Trend ausfindig machen, dann ist es der Hang zum Kollektiv und die Absage an monomanen Autismus.

Pianist Andrew Hill etwa, ein kauziger Sympathisant von Thelonious Monk, inszeniert ein melancholisch-hymnisches Sextettspiel, in dem die freie Improvisation einen Galaauftritt hat. In Saalfelden darf sie Wiedergeburt feiern, sich auch mit Punk-Nostalgie versöhnen: Das Ex Orchest setzt auf brachiale Unmittelbarkeit des Stampfens und lässt sie im Chor der schreienden Instrumente aufgehen. Erdbeben im Gehörgang.

Auch das Trio Medeski, Martin & Wood, nun dem Funk und Soul verfallen, will die alte Tante Free Jazz nicht am Friedhof der Geschichte ruhen lassen. Immer wieder gerät die tanzbeinfreundliche Kost zur Knetmasse widerborstiger Improvisationshände. Das klingt dann wie simulierter Kontrollverlust (Spezialist Marc Ribot), und damit muss man natürlich zu Kimmo Pohjonen kommen.

Vertauschte Rollen

Die Performance des Akkordeontheatralikers besteht aus Lyrik und Lärm und erzählt auch von einer seltsamen Emanzipation des Instrumentes. So gewinnt das luftgierige Instrument mitunter Oberhand, Puhjonen spielt, aber zusehends wird er vom Instrument gespielt, das ihn schließlich zu verspeisen scheint. Dieses musiktheatralische Kabarett - nur die Fußnote in einem Programm-Mix, der alles abdecken will, was heute so abseits des Swing-Kommerzes an Kulinarischem und Schrägem geboten wird. Das kann des Saxophonisten Henri Texier druckvolle Reminiszenz an die Ekstatik von John Coltrane sein. Das kann die Schmusekammermusik von Trygve Seim sein, die auf Basis von Gil-Evens-Instrumentierung eskapistische Schönheitsideale besingt.

Das kann aber auch der Klassiker Henry Threadgill sein: Der Konzeptualist setzt nach wie vor auf eine Riff-Musik, die ihr Geheimnis nicht preisgibt und so zugänglich wie komplex wirkt. Zum Ende der Festivalanfang: Max Nagl, der produktivste Kopf der heimischen Szene, verfiel den Gedichten von Edward Gorey und vertonte sie.

Wieder begibt sich Nagl in Traditionsräume und kommt darin nicht um. Er entwirft schaurige Landschaften, lässt unschuldige Melodien sprießen. Friedhofsromantik. Zirkus, Kinderstube und Dorffest. Ein bunter Bauchladen der Ideen. Nagl verliert sich gerne solistisch, findet sich und landet mitunter auch in der exaltierten Welt des 60er-Jahre-Rock. Nagl, ein smarter Elefant im Traditionsladen.

(DER STANDARD, Print, 27.8.2001)