Jerusalem/Gaza - Am frühen Sonntagmorgen donnerten F-16-Kampfjets der israelischen Armee über Gaza-Stadt, dann habe es eine "riesige Explosion" gegeben, sagten Augenzeugen. Als Vergeltung für mehrere tödliche Angriffe auf Israelis am Wochenende bombardierte die Armee Hauptquartiere der palästinensischen Zivilpolizei in Gaza und Deir al-Balah.

Zuvor waren israelische Soldaten erneut in palästinensisches Selbstverwaltungsgebiet eingedrungen: Im Süden des Gazastreifens bei Rafah, unmittelbar an der Grenze zu Ägypten, rollte die Armee mit Panzern und Bulldozern ein, riss drei palästinensische Stellungen nieder und zog bei Sonnenaufgang wieder ab. Augenzeugen berichteten von heftigen Schusswechseln.

Ausgelöst hatten die Vergeltungsakte vor allem ein Überfall radikaler Palästinenser auf einen Militärposten nahe Nezarim, der mit 6000 Bewohnern größten jüdischen Siedlung im Gazastreifen, am Samstag.


Zwei Soldaten getötet

Die zwei Männer, die dem bewaffneten Flügel der in Damaskus ansässigen, Arafat-kritischen, aber in den Palästinensergebieten populären Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) angehörten, feuerten auf die Wachposten, töteten dabei zwei israelische Soldaten und verletzten sieben weitere.

Einer der beiden Palästinenser wurde noch während des Angriffs erschossen, der zweite soll bei der Flucht umgekommen sein. Nach dem Überfall strahlte das libanesische Fernsehen am Samstagabend ein Video aus, in dem die beiden jungen Männer weitere Attacken auf israelische Soldaten und jüdische Siedler ankündigten und dabei mit ihren Kalaschnikows posierten.

Ziel ihrer Aktion sei, die israelische Armee zum Rückzug aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland zu zwingen, sagten die beiden Anhänger der marxistisch orientierten DFLP.


Armee untersucht

Die israelische Armee setzte nach eigenen Angaben eine Kommission ein, welche die Umstände des Angriffs untersuchen soll. Der Überfall gilt als die erste größere Aktion der DFLP. Es war auch das erste Mal seit Beginn des Palästinenseraufstandes im vergangenen September, dass es einem bewaffneten Palästinenserkommando gelang, unbehelligt zu einem Wachposten der israelischen Armee nahe einer jüdischen Siedlung vorzudringen.

Aus Furcht vor Vergeltungsschlägen der Israelis ordnete die palästinensische Führung bereits am Samstag die Evakuierung aller öffentlichen Gebäude im Gazastreifen an. Bei einem weiteren Zwischenfall am Sonntag wurde ein 14-jähriger palästinensischer Jugendlicher durch ein israelisches Panzergeschoß zerfetzt.

Der außenpolitische Koordinator der Europäischen Union, Javier Solana, hat unterdessen eine Schlüsselrolle der EU bei den Friedensbemühungen in Nahost angekündigt. Die EU werde sich bei der Suche nach einer gerechten und dauerhaften Lösung an die Spitze der internationalen Bemühungen setzen, schrieb Solana in einem Gastbeitrag für Bild am Sonntag . Der deutsche Außenminister Joschka Fischer bemüht sich um ein Treffen zwischen Yassir Arafat und Israels Außenminister Peres in Berlin in dieser Woche. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.8.2001)