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Foto: Archiv
Mit der Welt ist es schon ein rechtes Kreuz. Die Schwerkraft beispielsweise. Sie wird total überbewertet. Schuld daran trägt vor allem Sir Isaac Newton mit seinen unhaltbaren Theorien von oben und unten. Sie wissen schon, das Gewicht und Dingsda von einem Apfel und - Boing und Aua! - direkt auf die Birne. Warum, bitte schön, brauchen wir das?! Der Weltraum etwa kommt ohne Schwerkraft aus. Hat der sich je beschwert? Eben. Überhaupt, Schönheit der Natur. Da kommt nichts Gutes dabei raus. Nehmen wir das Hochgebirge. Gerade der von den Menschen immer so angehimmelte Himalaya ist nämlich ein alter Arsch. Am schlimmsten von allen aber, die Sonne: "Die kocht auch nur mit Wasser, die soll sich nicht so aufführen, gelbe Sau!" Vieles, das PeterLicht hier im Lied gegen die Schwerkraft - wie überhaupt auf seinem ganzen Debütalbum Vierzehn Lieder - mit hühnerbrüstiger Stimme verhandelt, hat mit jenem kindlich-naiven Zugang zur Welt zu tun, der auch das Märchen auszeichnet. Man muss als Dreikäsehoch die anfangs dann doch immer sehr abstrakt wirkenden Dinge erst personifizieren, um sie sich selbst begreifbar machen zu können. Mann im Mond macht Pipi, und Mama Sonne grinst dazu. Hier bekommen Himmelsgestirne also ein Eigenleben, werden drastische Landschaftserhebungen in Tibet als Charakterschweine beschimpft - und als Höhepunkt lernen ausrangierte Bürostühle auf Abenteuerreise sogar das Fliegen. Peterchens Mondfahrt 2001, das Jahr, in dem die Kindsköpfe Kontakt aufnehmen. Nicht nur musikalisch lautet das Motto des auf elektronischem Schrottinstrumentarium aus der Gründerzeit von Casio, Moog und Dr. Böhms fabulösem Drumcomputer sowie Kokosnussrasseln und Sitar fröhlich unbeholfen im Heimstudio werkelnden PeterLicht folglich: "Dem Sperrmüll eine Chance!" Auch textlich stauen sich Altlasten einer unverdauten Kindheit zwischen Takatuka-Land, Sesamstraße und der Sendung mit der Maus. Im Gegensatz zur "gelben Sau" zeigt sich PeterLicht bei den kleinen Dingen des Lebens, über die dann im ausgleichenden Sinn auch, sagen wir, "schlageresk" gesungen wird, kulant. Er identifiziert sich sogar mit ihnen. In Sonnendeck etwa, jenem Stück mit dazugehörigem Erfolgsvideo, mit dem der 24-jährige Kölner gerade im Musikfernsehen Furore macht ("Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf'm Sonnendeck"), hat er sich nicht nur besagten Bürostuhl als Protagonisten erwählt, der zur wiederbelebten New-Wave-Zickigkeit aus den frühen 80er-Jahren durch Stadt, Land und dann Richtung Himmelstür ruckelt. Er dient dem öffentlichkeitsscheuen elektronischen Liedermacher nun auch als "künstlerische Identität". Irgendwie weiß man zwar, dass es den jungen Mann als Meinrad Jungbluth tatsächlich als Kind der doppeldeutig zu lesenden Pillengeneration gibt, und dass er schon im Vorjahr mit Sonnendeck und dem Minialbum Sechs Lieder auf einem kleinen Berliner Label einen veritablen Undergroundhit landete. Damals geisterten in diversen Zeitschriften sogar ein, zwei verschwommene Fotos eines prototypischen Nerds herum, der lieber vor dem Bildschirm über seine nicht vorhandene Zukunft nachdenkt als darüber, dass Hosenböden, die in der Kniekehle hängen, nicht so wahnsinnig sexy wirken: "Wir sind jung, und wir machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt", nennt sich so eine weitere schmissige, in Form eines alten Neue-Deutsche-Welle-Schlagers von Vorbildern wie Andreas Dorau oder Der Plan dargebotene Weltbetrachtung. Mit dem Wechsel zur großen Plattenfirma und der Transformation zu PeterLicht aber herrscht nun trotz anstehender Weltkarriere in Mitteleuropa Biografieverweigerung. Doch halt, einer geht noch: "PeterLicht kommt aus dem Äther. Er wurde aus Pop geschaffen, und er wird zu Pop zurückkehren." Spätestens hier brennt die letzte Sicherung durch. In einem zentralen Song von Vierzehn Lieder lautet die Kernaussage im Gegensatz dazu: "Meide, meide die Popkultur, die Popkultur ist nicht gut für uns." Ja, wie denn, was denn? PeterLicht ein Blödmann, aber subtil muss er sein? Nicht unbedingt. In Zeiten, in denen ein Tony Blair sich am liebsten als alter Rocker mit E-Gitarre inszeniert und der US-Präsident jünger als Mick Jagger ist, hat so eine beinharte Protest- und Verweigerungshaltung durchaus ihre Berechtigung: "Ihr lieben 68er, danke für alles, ihr dürft jetzt gehen." Wahnsinn, heiter gelesen: "Unter der Pasta liegt der Strand." Die Kultur der Bescheuerten hat endlich ihren Bob Dylan gefunden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 8. 2001)