Ruzicka: Sie ist nützlich, weil sie ein Finalstadium des Dekonstruktivismus abbildet, von dem ich mich explizit absetzen möchte. Der relative Skandal, der ja gar nicht so stark ausgefallen ist, wie die Initiatoren sich das vorgestellt haben, ist für mich keine zukunftsträchtige Linie.
STANDARD: Zuschauer forderten, Mortier einzusperren.
Ruzicka: Was schade ist. Mortier wollte eine Offenheit entstehen lassen, das Publikum erziehen. Zuletzt hat er aber auch von einem Moment des Scheiterns gesprochen. Wenn ich mich jetzt vom Dekonstruktivismus absetze, kann es auch Beifall von der falschen Seite geben. Aber die Erwartung, es gehe nun reaktionär weiter, muss ich dämpfen: Das wird nicht der Fall sein.
STANDARD: Wo sehen Sie in der Regie der nächsten zehn
Jahre mögliches Potenzial?
Ruzicka: Ich bin nicht Regisseur, und ich bin auch nicht derjenige, der
Regisseuren einen Katechismus in die Hand gibt. Bei Brainstormings haben wir
analysiert, wo wir stehen. Unter den Regisseuren herrscht die Auffassung vor, man
müsste an Werke mit der Befindlichkeit des 21. Jahrhunderts herangehen - auch
mit der Offenheit für neuen Technologien.
STANDARD: Wie ist es Ihnen eigentlich geglückt, Harnoncourt zurückzuholen?
Ruzicka: Das war der erste Weg nach meiner Designierung. Es war mein
größter Wunsch, mit ihm einen neuen Mozart-Zyklus zu machen. Seine
Neugier ist unbegrenzt. Warum er Salzburg unter Mortier verließ? Die
Figaro-Produktion 1995 ist unglücklich gelaufen, es gab
Besetzungsschwierigkeiten. Und das Kleine Festspielhaus ist für Mozart nicht
ideal. Aber ich denke, dass ich Harnoncourt Bedingungen bieten kann, die seine Arbeit
zum Heimspiel machen.
STANDARD: Sie kritisierten, dass es unter Mortier zu wenige
Uraufführungen gab. Sie forcieren das eher.
Ruzicka: Drei Aufträge sind vergeben, fünf müssten es
werden. Sofern die Finanzen stimmen. Ich akzeptiere den Sparkurs der Regierung.
Aber: Salzburg finanziert sich zu 72 Prozent selbst und ist ein Beispiel für
Umwegrentabilität. Jeder Schilling Subvention wird mit 1,6 Schilling
Rückfluss belohnt. Sparauflagen machen daher keinen Sinn: Die
öffentliche Hand bestraft sich damit selbst.
STANDARD: Die Reduzierung der Subventionen um zwei
Prozent bedeutet bis 2003 ein Minus von 23 Millionen Schilling.
Ruzicka: Ja. Das ist der Betrag für zwei Produktionen. Ich habe ja
ein Fünf-Säulen-Modell vorgestellt: Mozart, Strauß, die große
Oper des 19. Jahrhundert, Uraufführungen und die Opern der Vertriebenen.
Wenn nur mehr das Gängige möglich wäre, wenn also zwei
Säulen wegfielen . . .
STANDARD: Dann ist für Sie die Schmerzgrenze
erreicht?
Ruzicka: Ja.
STANDARD: Aber haben Sie nicht schon resigniert? Die
Schreker-Oper wurde verschoben.
Ruzicka: Nein. Ich bin überzeugt, dass König Kandaules
ein noch besserer Einstieg ist. Zudem ist Zemlinsky ein typischer Fall eines
Exilkomponisten. Außerdem sind 2004 keine Tantiemen mehr für Schreker
zu bezahlen. Das sind bei den Salzburger Kartenpreisen enorme Beträge.
STANDARD: Apropos Kartenpreise: Planen Sie
Veränderungen?
Ruzicka: Sie sprechen eine Wunde an, die auch Mortier nicht
schließen konnte: Dass wir mit der Eintrittspreispolitik gesellschaftliche Gruppen
behindern, nach Salzburg zu kommen. Vor zehn Jahren hätte man leicht die
Preisstruktur verändern können. Ein echtes Versäumnis! Ich
würde gerne für jede Veranstaltung 100 Karten zum Kinopreis abgeben.
Ich hoffe auf Sponsoren.
STANDARD: Können Sie die Spitzenpreise noch
anheben?
Ruzicka: Wir erhöhen die Preise 2002 nicht. Ich kann mir nur
vorstellen, eine De-luxe-Kategorie draufzusetzen.
STANDARD: Wie geht es mit dem Festival Zeitfluss
weiter?
Ruzicka: Das kann ich noch nicht sagen. Wir sind in Gesprächen.
Ich habe ja nun Oper und Konzert in einer Hand, was sich sehr bewährt, weil
man programmatische Linien entwerfen kann. Und daran wird auch die neue Musik
partizipieren.
STANDARD: Mortier meinte, er hätte es relativ leicht
gehabt, weil er nur das Karajan- Erbe anzutreten hatte, Sie jedoch müssten zwei
Erben antreten.
Ruzicka: Die 70 Millionen Schilling aus der Ära Karajan, die Mortier
verwenden konnte, das war ein herrlicher Start. Es muss für ihn ein Kinderspiel
gewesen sein. Seine Gestaltungsspielräume sind mir derzeit verwehrt. Trotz der
verschlechterten Grundvoraussetzung werden wir den Rang Salzburgs festigen.
STANDARD: Aber das Risiko zu scheitern ist höher und
wahrscheinlicher als bei Mortier.
Ruzicka: Anfangen, wo's anfängt! Ich kann die Geschichte nicht
zurückdrehen, das wäre ja auch ästhetisch verkehrt.
STANDARD: Mortier wurde kritisiert, weil er nur wenig Zeit in Salzburg verbrachte. Wie oft werden Sie hier weilen?
Ruzicka: Zwölf Monate minus den Urlaubsmonat. Das kann nicht
anders funktionieren. Das Domizil ist im Vertrag festgelegt: Ich bekomme ab 1.
Oktober die Dienstwohnung auf dem Mönchsberg, die bisher Hans
Landesmann benutzte, mit dem Blick über den ganzen Festspielbezirk. Und ich
lebe mit dem Theater.