Während Gerard Mortier seine letzten Tage in Salzburg absolviert, ist sein Nachfolger Peter Ruzicka längst vor Ort, um die Zukunft der Festspiele zu planen, bei denen Nikolaus Harnoncourt eine zentrale Rolle spielen wird. Hans Neuenfels' "Fledermaus"-Version hält er für einen Schwanengesang des Dekonstruktivismus, erfuhren Thomas Trenkler und Ljubisa Tosic . Standard: Sie waren in der Fledermaus. Was sagen Sie zu dieser inszenierten Erregung?

Ruzicka: Sie ist nützlich, weil sie ein Finalstadium des Dekonstruktivismus abbildet, von dem ich mich explizit absetzen möchte. Der relative Skandal, der ja gar nicht so stark ausgefallen ist, wie die Initiatoren sich das vorgestellt haben, ist für mich keine zukunftsträchtige Linie.

STANDARD: Zuschauer forderten, Mortier einzusperren.

Ruzicka: Was schade ist. Mortier wollte eine Offenheit entstehen lassen, das Publikum erziehen. Zuletzt hat er aber auch von einem Moment des Scheiterns gesprochen. Wenn ich mich jetzt vom Dekonstruktivismus absetze, kann es auch Beifall von der falschen Seite geben. Aber die Erwartung, es gehe nun reaktionär weiter, muss ich dämpfen: Das wird nicht der Fall sein.

STANDARD: Wo sehen Sie in der Regie der nächsten zehn Jahre mögliches Potenzial?
Ruzicka: Ich bin nicht Regisseur, und ich bin auch nicht derjenige, der Regisseuren einen Katechismus in die Hand gibt. Bei Brainstormings haben wir analysiert, wo wir stehen. Unter den Regisseuren herrscht die Auffassung vor, man müsste an Werke mit der Befindlichkeit des 21. Jahrhunderts herangehen - auch mit der Offenheit für neuen Technologien.

STANDARD: Wie ist es Ihnen eigentlich geglückt, Harnoncourt zurückzuholen?

Ruzicka: Das war der erste Weg nach meiner Designierung. Es war mein größter Wunsch, mit ihm einen neuen Mozart-Zyklus zu machen. Seine Neugier ist unbegrenzt. Warum er Salzburg unter Mortier verließ? Die Figaro-Produktion 1995 ist unglücklich gelaufen, es gab Besetzungsschwierigkeiten. Und das Kleine Festspielhaus ist für Mozart nicht ideal. Aber ich denke, dass ich Harnoncourt Bedingungen bieten kann, die seine Arbeit zum Heimspiel machen.
STANDARD: Sie kritisierten, dass es unter Mortier zu wenige Uraufführungen gab. Sie forcieren das eher.

Ruzicka: Drei Aufträge sind vergeben, fünf müssten es werden. Sofern die Finanzen stimmen. Ich akzeptiere den Sparkurs der Regierung. Aber: Salzburg finanziert sich zu 72 Prozent selbst und ist ein Beispiel für Umwegrentabilität. Jeder Schilling Subvention wird mit 1,6 Schilling Rückfluss belohnt. Sparauflagen machen daher keinen Sinn: Die öffentliche Hand bestraft sich damit selbst.

STANDARD: Die Reduzierung der Subventionen um zwei Prozent bedeutet bis 2003 ein Minus von 23 Millionen Schilling.
Ruzicka: Ja. Das ist der Betrag für zwei Produktionen. Ich habe ja ein Fünf-Säulen-Modell vorgestellt: Mozart, Strauß, die große Oper des 19. Jahrhundert, Uraufführungen und die Opern der Vertriebenen. Wenn nur mehr das Gängige möglich wäre, wenn also zwei Säulen wegfielen . . .

STANDARD: Dann ist für Sie die Schmerzgrenze erreicht?
Ruzicka: Ja.

STANDARD: Aber haben Sie nicht schon resigniert? Die Schreker-Oper wurde verschoben.

Ruzicka: Nein. Ich bin überzeugt, dass König Kandaules ein noch besserer Einstieg ist. Zudem ist Zemlinsky ein typischer Fall eines Exilkomponisten. Außerdem sind 2004 keine Tantiemen mehr für Schreker zu bezahlen. Das sind bei den Salzburger Kartenpreisen enorme Beträge.

STANDARD: Apropos Kartenpreise: Planen Sie Veränderungen?
Ruzicka: Sie sprechen eine Wunde an, die auch Mortier nicht schließen konnte: Dass wir mit der Eintrittspreispolitik gesellschaftliche Gruppen behindern, nach Salzburg zu kommen. Vor zehn Jahren hätte man leicht die Preisstruktur verändern können. Ein echtes Versäumnis! Ich würde gerne für jede Veranstaltung 100 Karten zum Kinopreis abgeben. Ich hoffe auf Sponsoren.

STANDARD: Können Sie die Spitzenpreise noch anheben?
Ruzicka: Wir erhöhen die Preise 2002 nicht. Ich kann mir nur vorstellen, eine De-luxe-Kategorie draufzusetzen.

STANDARD: Wie geht es mit dem Festival Zeitfluss weiter?
Ruzicka: Das kann ich noch nicht sagen. Wir sind in Gesprächen. Ich habe ja nun Oper und Konzert in einer Hand, was sich sehr bewährt, weil man programmatische Linien entwerfen kann. Und daran wird auch die neue Musik partizipieren.

STANDARD: Mortier meinte, er hätte es relativ leicht gehabt, weil er nur das Karajan- Erbe anzutreten hatte, Sie jedoch müssten zwei Erben antreten.
Ruzicka: Die 70 Millionen Schilling aus der Ära Karajan, die Mortier verwenden konnte, das war ein herrlicher Start. Es muss für ihn ein Kinderspiel gewesen sein. Seine Gestaltungsspielräume sind mir derzeit verwehrt. Trotz der verschlechterten Grundvoraussetzung werden wir den Rang Salzburgs festigen.

STANDARD: Aber das Risiko zu scheitern ist höher und wahrscheinlicher als bei Mortier.
Ruzicka: Anfangen, wo's anfängt! Ich kann die Geschichte nicht zurückdrehen, das wäre ja auch ästhetisch verkehrt.

STANDARD: Mortier wurde kritisiert, weil er nur wenig Zeit in Salzburg verbrachte. Wie oft werden Sie hier weilen?

Ruzicka: Zwölf Monate minus den Urlaubsmonat. Das kann nicht anders funktionieren. Das Domizil ist im Vertrag festgelegt: Ich bekomme ab 1. Oktober die Dienstwohnung auf dem Mönchsberg, die bisher Hans Landesmann benutzte, mit dem Blick über den ganzen Festspielbezirk. Und ich lebe mit dem Theater.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. August 2001)