Wien - Irgendwann geht's ganz von selbst. Zuerst vorne, dann hinten. Mann wird schütter. Das zwingt zu letzten Rettungsversuchen. Die spärlichen, übrig gebliebenen Kopffäden werden behutsam von einem Ohr zum anderen gelegt. Schaut gewagt aus, aber hilflos. Der Zeitgeist bringt zum Glück jetzt Hilfe: Oben kahl ist endlich cool. Ein Männer umspannender Bund von neuen G'scherten hat sich gefunden: der Skinhead mit Bomberjacke, der Architekt im Blackdress, der Exsofti, der Künstler, der Kraftsportler, der Jungmanager im Boss-Anzug. Erich Joham verdreht die Augen: "Schrecklich, furchtbar. Und jetzt kommen s' auch noch mit diesen Peter-Rapp-Bärten daher, fürchterlich." Es ist "irgendwie dieses Militärische an der Glatze", das den Wiener Szenecoiffeur Joham unrund macht. "George Tabori würde nie auf den Gedanken kommen, sich die Haare abzurasieren. Der hat mir einmal ein altes Foto gezeigt, wie er beim Militär war. Total geschoren. Ich glaub', das hat ihm gereicht." Der Prominentenfigaro, der naturgemäß auch rein geschäftsmäßig mit Glatzen wenig am Hut hat - in jedem Drogeriemarkt gibt es um ein paar Schilling einen Do-it-yourself-Rasierer -, kann der Enthaarung des Kopfes in Ausnahmefällen jedoch etwas abgewinnen. Joham: "Wenn ich mir da diesen Landeshauptmann anschau', den Erwin Pröll, mit seiner Glatze in der Mitte und den komischen Bauscherln links und rechts: Ich würde den Zweieraufsatz rauftun und ihm den Kopf scheren. Bei dem hat's einen Sinn. Ansonsten sind das aber irgendwie Komplexler, die Glatzerten." Glatzköpfe haben Angst Dieser von Joham - vermutlich während der stundenlanden Beschäftigung mit österreichischen Häuptern - entwickelten Charakterologie der Glatzköpfe, kann der Wiener Soziologe Roland Girtler allemal etwas abgewinnen. "Die neuen Glatzenträger sind ja im Grunde Angsthasen. Sie fürchten sich vor den starken Frauen, vor dem neuen weiblichen Selbstbewusstsein. Vor den Emanzen, die sich den Männern nicht mehr unterordnen wollen. Dem versucht der Mann jetzt eine neue Männlichkeit entgegenzustellen. Die Glatze steht für neues Männerbewusstsein. Die Glatze oder die extreme Kurzhaarfrisur ist sicher auch eng mit dem Militärischen verbunden, sie lässt Assoziationen zum Soldatischen, zum Überlebenskampf, zum männlichen Kämpfer zu. Der Mann, ein Held. Diesen Zug zum starken Soldatischen sieht man jetzt immer mehr auch schon bei Frauen." Freilich: Militärcodes tauchten bereits in der Friedensbewegung auf, als Mann und Frau friedlich vereint mit ihrem Peacedress (Bundesheer-Parka, über die Schulter grüne Militärtaschen) zu den Demos fuhren. Diese Symbole wurden der Militärhoheit entzogen und durch die Verwendung in einem gegensätzlichen Kontext neu codiert. Eine Uminterpretation der Symbole findet jetzt auch im Glatzenkult statt. Den Schädel kahl zu rasieren war auch immer ein Akt der Demütigung und Entpersonalisierung. Feinden wurden im Krieg die Haare geschoren. Die Entfernung des Kopfschmuckes hieß Unterwerfung. Es traf die Frauen, die Sklaven, die US-Marines, die Häftlinge. Der kahlgeschorene Kopf als Stigma der Diskriminierten wird nun zum Erkennungsbild des selbstbewussten Underdogs. Der Glatzkopf als Hero - vielfach transportiert in Zweitklasse-Movies und später zum Dresskult rechter Skinheads erhoben. Die die Glatze ja noch aus einem praktischen Grund schätzten. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei waren sie mit ihren glatten Hirnkästen weniger "greifbar". Die Glatze als militantes Statement macht natürlich der Softiabteilung unter den Kahlen einige Probleme. Linke trendige Glatzen müssen nun halt imagemäßig leiden. Wie die langen Haare damals von den Linken wurde die Glatze eben zuerst von der rechten Bewegung okkupiert. Der Kahlkopf ist assoziativ rechts besetzt. Ästhetischer Wahnsinn Heute ist die Szene freilich weit aufgesplittet in rechte und linke Skins ("Redskins"), in bürgerliche und radikale Kahlköpfe. Und mit dabei ist jene große Masse der Besitzer von Geheimratsecken, die nun im Sog der Modewelle erleichtert auch die letzten dünnen Härchen abrasieren können und dennoch endlich wieder viril erscheinen. Schauspieler Bruce Willis hat aus seiner Haarnot eine Tugend gemacht und den spärlichen Wuchs eines Tages abrasiert, ebenso wie Eros Ramazzotti, Andre Agassi, Thomas Muster oder der deutsche Schauspieler Heiner Lauterbach. Sie nutzten die Gunst des Zeitgeistes und wandelten sich vom Haarausfallopfer zum neuen männlichen Kahlkopfidol. Was Männern obendrein Mut macht: Starmodel Linda Evangelista zeigte öffentlich, dass Frankreichs Teamgoalie Fabien Barthez auch mit der Glätte eines Fussballes am Kopf ihre ganze Aufmerksamkeit genießt. Martin Behr, Journalist, Künstler und heftiger Sturm-Graz-Fan, versteht Barthez: "Als ich Mitte 20 war, sind meine Haare ebenfalls dünner geworden, und es war klar: Es ist ästhetisch ein Wahnsinn mit so einem Kranzl rundherum. Ich hab's mir wegrasiert. Natürlich, die optische Parallele zu den Skinheads ist da, aber es war bisher keine besondere Belastung, nur einmal in Los Angeles. Als sie gehört haben, dass ich noch dazu aus Österreich komm', haben einige die Nase gerümpft." Sein Grazer Künstlerkollege Christian Marczik zählt ebenso zu den "Zum Glück kam die Mode"-Glatzenträgern: "Bei mir war's ähnlich, ich musste mit dem Vorhandenen auskommen, und das war nicht viel. Ich würde es wieder länger tragen. Dass ich mit den Skinheads praktisch in einen Topf geworfen werde, ärgert mich." Auf alle Fälle "eine superpraktische Modeerscheinung", bekennt Journalist Harald Fidler: "Die Glatze ist eine Kombination aus modischem Ausläufer der Technoszene und dünnen Haaren." Das Phallische daran Ob haarwurzelbedingt oder trendig aufgemotzt: "Die Glatze hat was Phallisches", diagnostiziert Othmar Hill, Wiener Psychologe, Personal- und Unternehmensberater - und Stoppelglatzenbesitzer. "Die Leute wollen phallisch ausschauen, stark und fit. Und man will das Alter nicht zeigen. Nett und verständnisvoll war man früher, jetzt will man wieder den Mann zeigen." Eines kann Randgruppenexperte Girtler allerdings ausschließen: "Die neue Glatzenmode ist mit Sicherheit kein politischer Protest wie damals die Langhaarfrisur der Achtundsechziger. Die neue Glatze ist eindeutig eine unpolitische Gegenbewegung zu den Achtundsechzigern, gegen die damaligen Langweiler. 1968 wird als Softibewegung, die auch die Emanzipation hervorgebracht hat, jetzt abgelehnt. Die weichen Langhaarigen gefallen ja auch den Frauen nicht." Was aber kommt nach der Glatze? Wenn die Sache da oben ausgereizt ist? Friseur Joham hat einen Wunsch. Er möchte eine der berühmtesten Frisuren wieder beleben: den Mittelscheitel. Genauso wie ihn Theo Lingens zu legen pflegte. Das wäre aber nur etwas für verwegene Männer. Für Kerle. Denn das traut sich so bald niemand. Aber das gefiele auch Frauen. Vielleicht. Und wenn nicht, gäbe es in den Beziehungen wenigstens wieder etwas zu lachen. (DER STANDARD, Print