Jerusalem/Wien - Jedes Jahr im Sommer kommt er wieder, der Aufschrei der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem: Mehr als 200.000 Palästinenser in mehr als 200 Dörfern im Westjordanland haben kein fließendes Wasser. Aber was normalerweise schlimm ist, ist diesen Sommer noch schlimmer: Der ganze Nahe Osten leidet nach mehreren fast niederschlagslosen Wintern unter einer dramatischen Dürre, und die Palästinensergebiete sind von der israelischen Armee auch von der üblichen Versorgung durch Wassertanks abgeschlossen. Den niedrigsten Stand seit 50 Jahren haben laut Auskunft der israelischen Wasserbehörde die natürlichen Wasservorräte erreicht, was im Klartext heißt, dass nichts mehr da ist. Am Mittwoch traten in Israel - im Vergleich mit dem ursprünglichen Vorschlag - verwässerte Vorschriften in Kraft, über die die meisten Palästinenser wohl nur lächeln könnten: Nur bestehende (keine neuen) Gärten dürfen nur mehr zwischen 19 und sieben Uhr gegossen werden, der Mittelstreifen der Autobahnen überhaupt nicht mehr, Autos dürfen nur mehr aus Wassereimern und nicht mehr mit Fließwasser gewaschen werden, und in Autowaschanlagen darf kein Hochdruckstrahl mehr verwendet werden. Schon vorher hatte der Wassermonopolist "Mekorot" den Druck des Leitungswassers gesenkt. Der Streit, ob man öffentliche Gärten weiter bewässern dürfe, ließ in Israel die Gemüter hochgehen, der Schuldige war schnell ausgemacht: die Landwirtschaft. Tatsächlich "exportiert Israel Wasser in Form von Orangen nach Europa" (Ha' aretz). Die Preise des Wassers für die Landwirtschaft werden noch immer, wenn auch niedriger als früher subventioniert: Die Lobby der Kibbuzim bleibt stark, auch wenn die Ideologie dahinter längst in der Krise ist. Die romantische Vorstellung von der landwirtschaftlichen Erschließung des Landes unter Aufbringung der letzten Ressourcen und Nichtbeachtung der natürlichen Voraussetzungen ist langlebig. Trinkwasser für die Felder Versäumnisse der Wasserpolitik liegen auf der Hand: So kostet das gestützte Trinkwasser die Bauern nicht wesentlich mehr als gereinigtes Recycling-Wasser: Letzteres fließt ins Meer, Ersteres auf die Felder. Auch der Trinkwasserpreis für Privathaushalte hat kaum europäisches Niveau, und das in einem Wüstenland. Der Bau von Entsalzungsanlagen, von weitsichtigen Personen seit den 80er-Jahren verlangt, wird erst seit kurzem forciert, ab 2003 soll eine Anlage bei Ashdod 45 Millionen Kubikmeter jährlich mehr liefern. Ab 2002 sind türkische Wasserlieferungen per Schiff von 50 Millionen Kubikmetern vorgesehen. Ein Tropfen auf den heißen Stein: 1,6 Milliarden Kubikmeter werden benötigt, wovon heuer nur 1,1 zur Verfügung standen. Der Wasserbedarf in Israel ist innerhalb der letzten zehn Jahre enorm gestiegen, allein durch die starke Zuwanderung. Dazu kommt noch die dramatische Verschmutzung: Von 39 Brunnen bei Tel Aviv sind 38 durch Schwermetalle belastet, 15 Prozent davon überschreiten die Höchstgrenzen. Vom Sparen war trotzdem nie die Rede. Die Angaben, um wie viel mehr Wasser Israelis verbrauchen als Palästinenser, sind heiß umstritten, aber immer bedenkenswert: Ein Palästinenser hat 35 bis 70 Liter pro Tag, ein jüdischer Siedler, ebenfalls im Westjordanland, 130 bis 330 (subventionierte) Liter, ein Israeli 200 bis 400. Im Gazastreifen ist durch die ständige Übernutzung des Grundwassers der Salzgehalt dramatisch gestiegen; Leber- und Nierenschäden sind die Folge. Ein Teil der schlechten Wasserversorgung der Palästinenser liegt an ihren völlig maroden Leitungssystemen, während 30 Jahren der israelischen Okkupation wurde fast nichts repariert. Israel hat sich in all den Jahren die völlige Oberhoheit über das Wasser in den besetzten Gebieten vorbehalten, Brunnenbaugenehmigungen waren für Palästinenser beinahe nicht zu bekommen. Kein Wunder, dass die Wasserfrage ein Kernpunkt der Friedensverhandlungen nicht nur mit den Palästinensern ist. Immerhin stammen etwa zwei Drittel der israelischen Ressourcen aus der arabischen Nachbarschaft: Der See Genezareth wird von aus Syrien kommenden Flüssen gespeist, und rund ein Drittel des israelischen Trinkwassers kommt aus Lagern unter den Palästinensergebieten. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.08.2001)