Paris/Wien - Vor fast einem Monat hat der französische Staatspräsident Jacques Chirac in seiner Rede zum Nationalfeiertag einen vorläufigen Schlusspunkt unter eine mit Skandalvorwürfen gespickte politische Frühjahrssaison gesetzt. Seither ist in Frankreich vordergründig sommerliche Ruhe eingekehrt. Chirac spannt mit Gattin Bernadette in der Corrèze aus, während Premier Lionel Jospin auf der Ile de Ré urlaubt.

Das heißt nicht, dass das Medienpublikum in diesen heißen Tagen gänzlich auf politische Darbietungen verzichten müsste. Für eine eher humoristisch anmutende Fortsetzung der Affäre um die Geheimfonds, aus denen Chirac seine opulenten Reisespesen bestritten haben will, sorgte in dieser Woche Staatsanwalt Jean-Pierre Dintilhac. Er meinte, dass die Nutznießer dieser Fonds - Minister und ihre Mitarbeiter - zwar nicht für ihren Gebrauch belangt werden könnten, wohl aber, wenn sie die Gelder nicht versteuert hätten.

Die Retourkutsche ließ auf sich warten: Patrick Devedjian, Ratgeber der Präsidentenpartei RPR, meinte, dass Dintilhac als Exkabinettschef des sozialistischen Justizministers Henri Nallet selbst von Geheimfondsgeldern profitiert habe und konsequenterweise sofort demissionieren müsse, wenn es zu einem Finanzstrafverfahren kommt.

Auch Canard enchaîné bemüht sich, Farbe in Sommerloch zu bringen. Die satirische Zeitschrift rollt eine ältere Skandalgeschichte auf, die bis in die politische Jugendzeit Chiracs zurückreicht. 1978 habe Chirac, so der Canard, mit Geldern aus einer wohltätigen Stiftung Grundstücke erworben, die an seinen feudalen Landsitz angrenzen, um so vor lästiger Anrainerschaft geschützt zu sein. Chirac hat die Vorwürfe erwartungsgemäß mit Schweigen quittiert.

Gegenangriff

Ein anderes Skandalthema, das noch auf niedriger Flamme dahinköchelt, im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf des Herbsts aber sicher eine heiße Rolle spielen wird, ist das der Sicherheit: Seit der jüngste Bericht des Innenministeriums aufgezeigt hat, dass die Kriminalitätsrate erheblich angestiegen ist, lassen Exponenten der politischen Rechten, von Chirac abwärts, keine Gelegenheit aus, die Schuld dafür der sozialistischen Regierungsmannschaft anzulasten. In dieser Woche bliesen die Sozialisten zum Gegenangriff: Die angebliche Zunahme der Kriminalität, so PS-Sprecher Vincent Peillon, könne einfach auch damit zu tun haben, dass die Polizei eben mehr Fälle kläre als früher.

Ob das Thema "Sicherheit" als Entlastungsoffensive für den skandalgeplagten Chirac taugen wird, ist noch offen. Immerhin, einen Atout hat der Präsident für den Wahlkampf schon im Ärmel: Eine Umfrage des Internetanbieters "Seniorportal" unter tausend Französinnen und Franzosen jenseits der 50 hat ergeben, dass der 68-jährige Chirac für 27 Prozent der ideale Anwärter auf den Titel eines "Sexy Senior" ist. Für den um vier Jahre jüngeren Jospin erwärmen sich lediglich 13 Prozent.(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.8.2001)