Alltag
Das Haar - das unbekannte Wesen
Eine Kulturgeschichte der wichtigsten Hauptsache der Welt von Nina Bolt
Das Haar, das unbekannte Wesen - Von Geburt an ist jedes Haar, das
irgendwann mal aus unserer Haut sprießen wird, als Keim, im Fachjargon Papille
genannt, angelegt. Wie viel Haare mensch hat, ist also wirklich Veranlagung. Hormone
steuern das Haarwachstum. So prägt sich die Körperbehaarung erst in der
Pubertät aus. Und in der Schwangerschaft zum Beispiel passiert es nicht selten, dass
sich die Haarstruktur verändert. Die genauen Zusammenhänge, die hinter
Haarwachstum und -ausfall stecken, sind aber immer noch nicht aufgeklärt. Bekannt
ist jedoch, dass Haare unterschiedliche Wachstumszyklen haben. Die
Faszination von Haaren rührt unter anderem daher, daß es sich um ein lebendiges
Material handelt. Nicht nur weil es wächst, sondern weil es sehr empfänglich für
Umwelteinflüsse ist.
Was ein Haar sonst noch alles kann, ist ebenfalls sensationell: Die 100.000
Haare auf einem Durchschnittskopf wachsen pro Tag insgesamt 30 Meter. Und
Dank seiner genialen chemischen Struktur kann ein einzelnes Haar bis zu 90 Gramm
Gewicht tragen, bevor es reißt.
Bereits seit dem Altertum wird der Kopfbehaarung eine bedeutende Bedeutung
zugeschrieben und eine dichte Haarpracht mit positiven
Temperamentseigenschaften assoziiert. Schon die alten ÄgypterInnen wollten sich nicht mit dem Haarverlust
abfinden und suchten nach kosmetischen Möglichkeiten, dieses als
unvorteilhaft empfundene Phänomen zu kaschieren, und auch griechische Gelehrte wie
Hippokrates und Aristoteles bemühten sich um Wissen über Ursachen.
Unterschiedliche Bedeutungen
Im Körperbild
des Menschen und in der nonverbalen Kommunikation spielt das intakte Haar eine
wichtige Rolle. Haar ist sozusagen die "Krone", es schmückt den Kopf und den
Körper und wird zur Haarpracht, Haartracht und Haarmode stilisiert. Im Laufe
der Menschheitsgeschichte wurde dem Haar unterschiedliche Bedeutungen
zugeschrieben. Von der bloßen Schutzfunktion in der Frühzeit reicht die Entwicklung
über festgeschriebene Bedeutungen in Antike und Mittelalter bis zur sehr
individuellen Modeerscheinung der Gegenwart. Wer auf welche Art und Weise seine
Haare trug, wurde in den verschiedenen Kulturen als Zeichen bestimmter
Eigenschaften zugeordnet. In der heutigen jugendzentrierten Gesellschaft scheint
die Rolle der Kopfbehaarung und der Körperbehaarung mehr denn je an
gesellschaftlicher Bedeutung zu gewinnen.
Volles und auch farbiges Kopfhaar wird oft
gleichgesetzt mit sozial wünschenswerten Eigenschaften wie Jugendlichkeit,
Attraktivität, Kraft, Vitalität, Gesundheit, Intelligenz, Erotik und Erfolg. Das
Haar ist der gewöhnlichste und gleichzeitig wichtigste sexuelle Fetisch, dem
die beiden Geschlechter auf recht unterschiedliche Weise huldigen. Es ist ein
ebenso verlässliches Barometer über unser körperliches und seelisches
Wohlbefinden, ein Messinstrument, das obenhin wie zum Ablesen geschaffen ist.
Gelegentlich werden negative Begleiterscheinungen des Haarausfalls
berichtet, zum Beispiel negatives Körperbild, geringes Selbstwertgefühl, soziale
Angst, Depression, sozialer Rückzug. Diesem und viel mehr (Kraft im Haar, die
Perücke, Haar und Geschlecht...) widmet sich das vorliegende Taschenbuch
ausführlich. (
Renate Bernardyn-Gabler
)